Gesundheit

Zärtlichkeit


Wie so vieles andere hat Zärtlichkeit unterschiedliche Ebenen der Bedeutung, der Wahrnehmung und des Ausdrucks. Häufig fallen uns zuerst Bilder liebevoller Berührungen ein. Eine Mutter, die ihr Baby liebevoll hält und anblickt. Oder Bilder, die Zärtlichkeit in uns auslösen. Katzenwelpen, die selbstvergessen miteinander spielen, ein geliebtes Gesicht, eine romantische Szene. Es sind Erinnerungen oder Vorstellungen, die uns friedlich stimmen. 

Zärtlichkeit können wir in uns spüren. Sie löst positive, angenehme Gefühle in uns aus.  

Zärtlichkeit kann eine Absicht ausdrücken oder sich selbst genügen. Oft beides zur gleichen Zeit. Obwohl sie leicht, manchmal schwebend ist, schafft sie Zugänge, initiiert Transformation und regt uns zu Größerem an. Zärtlichkeit, die uns entgegen gebracht wird, spiegelt sich in uns, öffnet unser Herz, lässt uns weiter werden. Sie ist dialogisch, sprich, auf uns gerichtete Zärtlichkeit, löst Zärtlichkeit in uns aus. Zumindest werden wir ein Gefühl der Weite und des Angenommen Seins erleben. 

Zärtlichkeit ist ein direktes Portal in unseren Herzraum und von dort zu den Herzen anderer. Sie ist eng mit Schönheit verbunden. Betrachten wir andere Wesen aus dem Herzen heraus, erkennen wir ihre Schönheit und empfinden Zärtlichkeit. Versenken wir uns in die Blume vor uns, nehmen ihren Duft wahr, die Zartheit der Blütenblätter, den Tautropfen in der Mitte, erfüllt uns Staunen über ihre Vollkommenheit, ihre Schönheit und wir möchten sie bewahren. 

Zärtlichkeit ist unsere Bereitschaft, die Welt mit unserem Herzen zu betrachten und die darin liegende vollkommene Schönheit wahrzunehmen. 

Ist das Wesen unserer Zuwendung nicht menschlich und nicht bedrohlich, wie Blumen, Tierkinder und Phänomene wie Regenbögen und Sonnenuntergänge, fällt uns der Zugang zu unserem Herzen leichter. Wir fürchten nicht, dass unsere emotionale Offenheit ausgenutzt und wir dadurch verletzt werden könnten und wir erlauben uns eher, unseren feinen und zarten Wesenskern zu offenbaren.

Doch zärtlich auf die Welt und die Menschen zu schauen macht uns stärker. Als würden wir an einem schönen Sonnentag auf einem Gipfel stehen und die Schönheit der Welt vor uns voll Freude betrachten und spüren, wie die Kraft der Umgebung, der Berge in uns aufsteigt, wie ein innerer Jubelschrei, der von außen kommend, durch uns hindurch, zurück nach außen will. Zärtlichkeit drückt unsere Verbundenheit mit allem aus. Unsere Erkenntnis, dass wir eins sind mit der Welt.

Zärtlichkeit macht uns auch menschlicher. Denn die Welt zu betrachten und ihre Schönheit zu erkennen, ist zutiefst menschlich. Wir erkennen uns selbst darin. Wir sehen unsere eigene Schönheit. Wir werden uns der Schönheit eines Augenblicks und des ganzen Lebens bewusst. 


Zärtlichkeit ist die Fähigkeit die Welt in all ihrer Schönheit nicht nur mit den Augen, sondern mit dem Herzen wahrzunehmen. Wir öffnen uns der Schönheit der Welt und spiegeln sie, reflektieren sie in uns und unserem Gegenüber, das sich darin finden und weiten kann, in dem wir uns finden und weiten können.

„Stiller Kamerad“ ist ein Dokumentarfilm, der über meine Freundin Claudia und ihre Arbeit als Traumatherapeutin mit Soldaten der Bundeswehr, die mit einer Belastungsstörung aus Einsätzen zurück kamen, gedreht wurde. Claudia arbeitet mit Pferden. In dem Film kann man wunderbar sehen, wieviel Zärtlichkeit die Pferde den Soldaten entgegen bringen und wie diese davon berührt werden. Und auch wie zärtlich und doch klar, Claudia mit den Menschen arbeitet. 

Er ist sehr ruhig, leise und dringt tief in die Seele. Er erinnert uns an das, was wirklich wichtig ist. 

Durch Zärtlichkeit können wir heilen. Heilung bedeutet einen höheren Grad an Verbundenheit. Verbindung, Nähe ist unser tiefster Wunsch. Viele von uns erhielten in der Kindheit nicht die tiefe Verbindung, die nötig gewesen wäre, um in uns einen Raum der Sicherheit zu erschaffen, der das ganze Leben über trägt. Die Liebe und Zärtlichkeit, die Mutter und Kind beim Stillen verbindet, schafft einen solchen, sicheren Raum für uns. Während des Stillens fließt nähernde Energie auf allen Ebenen zwischen Mutter und Kind. Sie schauen sich in die Augen und der Blick der Mutter sagt „Ich sehe dich. Du bist wundervoll. Du bist so schön. Ich liebe dich.“ Diese Liebesenergie fließt in das Kind und stillt seinen emotionalen Hunger, während die Milch der Mutter seinem physischen Hunger stillt. Es fühlt sich tief in seinem Wesen erkannt und geliebt und es erblüht in der Wärme der zärtlichen Zuneigung.

Hier wird der Same gelegt, emotional genährt zu sein, bzw. der Versuch vieler Menschen, die fehlende emotionale Erfülltheit durch Essen zu kompensieren, was nicht gelingen kann. 

Sind wir erwachsen, braucht Heilung meist Bedingungen. Therapie kann diesen Raum, bedingungslos gesehen und angenommen zu werden, bereitstellen. Ein Gegenüber, das uns emotional hält, uns Nähe und Verbundenheit schenkt und in all unserer Scham, unserer Selbstverachtung und Unfähigkeit uns zu lieben, uns in unsere Dunkelheit begleiten kann, ohne die eigene liebe- und lichtvolle Stabilität zu verlieren, das uns zärtlich in unserer Angst vor Ablehnung ansieht, ohne sich abzuwenden, ist durch alle verletzten Schichten hindurch heilsam. 

Tiere vertiefen diesen Prozess, denn sie werten nicht. 

Dies, liebevolle Beziehungen und innere Erkenntnisprozesse, sind die Schlüssel zu einem erfüllten Leben. Wir sind soziale Wesen, die ein Gegenüber und Eingebunden sein brauchen, um ein glückliches Leben zu leben. Zärtlichkeit geben und nehmen zu können, gehört dazu.

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2 Comments

  • Reply Eike 23. November 2022 at 20:12

    Empathie ist spirituelle Zärtlichkeit

  • Reply Moe 24. November 2022 at 5:16

    ❤️

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