Trauma und transgenerationale Übertragung

Der Rücken meiner Mutter


Meine Mutter hatte einen breiten Rücken. Er konnte viel tragen und bürdete sich viel auf. Ich kann mich gut an ihren Rücken erinnern. Er war stark und etwas gebeugt.
Ich habe keine Erinnerung an geöffnete Arme und einen einladenden Blick. Es war ihr Rückzug. In ihre Vergangenheit, in sich. Abgeschlossen und nicht erreichbar. Für mich als Kind war es hoch bedrohlich. Sie war einfach nicht da. Absorbiert von einer Zeit, in die ich ihr nicht folgen konnte.
Kinder wissen sich geliebt, wenn Erwachsene sich ihnen zuwenden. Sie sehen, in ihrem So-Sein und ihrem Potential. Der Rückzug des Erwachsenen, das Abwenden vom Kind, ohne ihm in Liebe eine Erklärung zu geben und es mitentscheiden zu lassen, wie der nächste gemeinsame Schritt aussieht, lassen in ihm Hilflosigkeit aufsteigen. Kleine Menschen machen immer zuerst sich verantwortlich für die Handlungen ihrer Erwachsenen. Wendet der Erwachsene sich ab, liegt es an ihnen. Etwas in ihnen kann nicht in Ordnung sein. Sie wissen nichts von den Verletzungen der Großen und den Strategien, die sie darum gebaut haben. Und oft wissen die Großen es selbst nicht.
Wie auch immer. Es ist an der Zeit, dass wir aufhören Kinder als unfertige Mangelwesen wahrzunehmen. Kinder bringen alles mit, was sie brauchen, um ein erfülltes und glückliches Leben zu führen, gelingende Beziehungen aufzubauen, sich in soziale Kontexte zu integrieren und liebevoll mit sich und der Welt zu leben. Dazu brauchen sie unseren Schutz und unsere Begleitung in der Gegenwart. Was sie nicht brauchen sind die Strukturen, die wir uns aufgebaut haben, um Schmerz, Verzweiflung, Hilflosigkeit und all die Ängste unserer Kindheit nicht mehr zu fühlen. Es ist an der Zeit, dass wir aufhören sie damit zu füttern. Unsere Überlebensstrategien sind letztlich nur Konserven. Fertigfutter. Ohne Gehalt, ohne Nährwert.
Mutter’s Rücken hat mich als Kind erstarren lassen. Und dieses Kind lebt in der Großen weiter. In manchen Situationen, in denen es sich ausgeliefert fühlte, hat es die Erstarrung in mir ausgelöst. Es mag sein, dass dies in der Zukunft wieder geschieht. Doch jetzt kann ich es einordnen. Damit ist der wichtigste Schritt getan, um auch mit Situationen, die ich als hilflos empfinde, gut leben zu können.

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