Rituale sind Hilfen, um die Alltagswelt zu verlassen und in einem geschützten Raum Transformation zu bewirken oder sich zu transformieren.
Im Vordergrund steht der Schutz des Raumes für den Einzelnen. Manchmal wird auch das Ritual als solches geschützt. Dieser Schutz ist notwendig, da die angestrebte Transformation eine Öffnung braucht – There is a crack in everything. That’s where the light gets in! Leonard Cohen.
Damit jeder einzelne seinen Weg finden kann, braucht es Sicherheit. Sicherheit entsteht durch Wissen. So sollte für alle klar sein, wieviel Anteil an der festgelegten oder geschätzen Zeit für das Ritual vorgesehen ist und wieviel – oder ob überhaupt – für sozialen Austausch und Miteinander eingeplant wurde. Jeder sollte wissen wie das Treffen ablaufen wird, was auf ihn zukommt, vielleicht nicht detailliert inhaltlich, aber doch die Struktur. Setzen sich die Teilnehmer neu zusammen, ist es notwendig alles durchzusprechen und den Neuen zu helfen sich in den Ablauf zu integrieren.
Außerdem sollte klar sein, ob man etwas mitbringen soll oder nicht, wann gegessen wird (normalerweise nach dem Ritual. Essen versetzt in einen eher alltäglichen Zustand, da die Verdauung anläuft. Daher werden bei großen Ritualen – Schwitzhütte, Sonnentanz – vorher oft Fastenzeiten eingehalten, die es erleichtern einen heiligen Raum zu schaffen).
Bevor das Ritual beginnt, sollte es einen Übergangsbereich geben, der es den Teilnehmern erlaubt anzukommen, sich zu begrüßen und den Mantel der Alltagswelt abzulegen. Auf keinen Fall sollte getratscht werden, da Gossip jegliches Tor in nicht alltägliche Welten schließt. Über andere zu sprechen führt von uns weg. Es ist eine traumaassoziierte Überlebensstrategie, die dem auszuweichen will, was wir in uns an Schmerz und Angst finden könnten. Findet das Ritual an einem bestimmten Platz oder in einem bestimmten Raum statt, wird nicht mehr gesprochen, sobald man den Raum, den Platz betreten hat. Stattdessen konzentriert sich jeder auf sich, betritt seine innere Welt und schaut wie er heute da ist.
Die Lakota, an deren reichem rituellem Schatz ich teilhaben durfte, führen unterschiedliche kleine Rituale durch, um die Alltagswelt zu verlassen und in die übernatürliche Welt der Transformation einzutauchen.
Häufig ist es der erste Schritt für einen gewissen Zeitraum an dem Tag des Rituals zu fasten. Dann das Abräuchern mit Salbei oder Beifuß. Dadurch werden die Spirits vertrieben, die den heiligen Raum des Rituals nicht betreten sollen. Also die Alltäglichkeiten, mit denen wir außerhalb des Heiligen Raums beschäftigt sind, wie Gedanken über die Arbeit, Urteile über andere Menschen und Situationen, bestehende Konflikte, etc. All das hat seinen Platz im alltäglichen, nicht im heiligen Raum. Allerdings verändert alles, was im heiligen Raum geschieht unsere Sicht auf den Alltag und unser Leben.
Danach kann eine Schwelle überschritten werden. Jeder geht bewusst in den heiligen Raum. Nun gibt es kein Zurück mehr. Die Transformation kann beginnen.
Bei großen Ritualen, wie der Schwitzhütte, wird noch eine tiefere innere Ausrichtung verlangt. Die Schwitzhütte kann man nur betreten, wenn man bereit ist in die Verbindung mit allen und allem zu gehen. Dazu muss man in den Vierfüßlerstand, sprich symbolisch anerkennen, dass wir zum Reich der Tiere gehören und damit in die Schöpfung. Wir stehen nicht über ihr.
Nun sind wir im heiligen Raum! Auch wenn dieser Raum einerseits ein Raum an einem Ort ist, ist er doch vor allem ein Raum jenseits aller Orte. Wir haben eine andere Dimension betreten. Hier gelten nicht die gleichen physikalischen Bedingungen wie dort, wo wir herkamen. Sind wir erst einmal hier gilt folgendes:
Wir können nicht mehr zurück. Der Weg führt von nun an nur noch mitten durch das Ritual.
Wir haben die Alltagswelt hinter uns gelassen. Daher gilt, es wird nicht gesprochen. Wird etwas gesagt, hat es sofort Auswirkungen auf das Ritual und somit auch auf uns. Daher spricht erstmal nur der Ritualleiter. Dieser kann das Wort an einzelne oder alle, in einer festgelegten oder sich ergebenden Reihenfolge, erteilen. So kann zum Beispiel die Aufforderung „Lasst uns darüber sprechen“, den Raum für ein gemeinsames Gespräch öffnen.
Sind wir in der Schwitzhütte, wird wieder geräuchert. dieses Mal, um helfende Spirits zu rufen. Dazu wird zum Beispiel Süßgras genutzt. Auf unserer Ebene bedeutet dies, dass wir uns nun noch bewusster Richtung Transformation ausrichten. Wir bitten darum, dass unser Wunsch nach Transformation hier, in diesem Raum, gehört und erfüllt wird. Deshalb akzeptieren wir das Ritual.
Diese Unterwerfung fordert uns heraus. Für unser Ego mag es anfangs schwierig sei, doch die Vorteile überwiegen für die meisten, bedeutet es doch auch, die Verantwortung für die Anforderungen der Welt, für den Zeitraum des Rituals abgeben zu können. Der Übergang in die heilige Dimension entlastet uns von den Pflichten unseres erwachsenen Lebens und entführt uns in die Welt des heiligen Kindes, das spielend Zugänge zu Pflanzen, Tieren, Feen, Trollen, Hexen und magischen Momenten findet. Wir erkennen, was wir auf unserem Weg ins Erwachsenenleben geopfert haben, wo wir unsere Ganzheitlichkeit verlassen haben und was wir nun wieder integrieren können. Das heilige Kind in uns (Chuen im Mayakalender. Die Mayas vollführen kein Ritual ohne diesen Nagual der für Kind, Neubeginn, Kreativität und Schöpferkraft steht) ist der Zugang zur anderen Dimension. Dieses Portal können wir nicht außerhalb von uns finden. Es befindet sich in uns. Die Hindus kennen 72 000 Energiekanäle, in denen unsere Lebensenergie fließt. Der Zugang zu anderen Dimensionen könnte sich aber auch in jeder unserer Zellen befinden …
Ein Ritual wird vielleicht in der umgekehrten Reihenfolge beendet, in der es begonnen hat. Oder es werden Techniken angewandt, die auch schon am Beginn des Rituals standen, wie tiefes Atmen, eine leichte Meditation, wurde mit einem Tanz gegen den Uhrzeigersinn begonnen, beendet ein Tanz im Uhrzeigersinn. Wurde eine Schwelle überschritten, sollte auch am Ende wieder eine Schwelle überschritten werden. Und/oder es wird noch einmal jeder einzelne mit Rauch gereinigt.
Das Ende des Rituals ist so wichtig wie sein Einstieg. Es lässt uns wieder in unserem Alltag ankommen, führt uns zurück über die Brücke, öffnet das Portal, damit wir unsere normale Welt wieder betreten können. Dazu müssen wir die übernatürliche Welt zurücklassen und uns wieder in unseren Alltag einfinden.
Einer meiner Aufstellungslehrer beendete jede Aufstellung mit einem symbolischen Glas Wasser, das jeder „trank“. Wasser ist per se eine Substanz, die die Welten verbindet, uns somit einen leichten Übergang gewährt. Meiner Erfahrung nach hilft es auch ganz ungemein, ein echtes Glas Wasser zu trinken. Wasser spült alles ab, was nicht mehr zählt. Und da wir innerlich unterwegs waren, ist eine innerliche Reinigung angemessen. Damit bekommt der Körper auch das Signal „alle wieder an Bord, der Alltag beginnt“.
Aho! Mitakuye Oyasin!
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