I
Als Euklid den Hades vermessen wollte
stellte er fest, dass es ihm an Tiefe und Höhe fehlte.
Dämonen, flacher als Felsen
wüteten auf der Ebene des Todes,
rannten mit echolosem Hundegebell
entlang der Linien von Feuer und Eis,
entlang der gezeichneten Linien des Hades.
Entlang der Linien, die zerbrachen
aber als Linien zurückkamen
ging eine Dämonenschar nach der anderen in die Breite, nacheinander und parallel durch den Hades.
Es gab keine Wellen, keine Höhen, keine Tiefen, keine Täler.
Nur Linien, parallele Verläufe, schräge Winkel.
Die Dämonen bewegten sich wie elliptische Platten;
bekleideten ein endloses Feld wie mit wandernden Drachenschuppen im Hades.
Auf eingeebneten Friedhöfen, die das Vergessen mit seiner Ebenheit verwüstet hatte
krochen Schlangen – selbst nur gröbere Linien:
eilten, krochen, gestikulierten
entlang laufender Linien.
Ein tosendes Grasfeuer in rasendem Flug
bewegte sich über den Boden wie ein Rasiermesser aus Feuer.
Es reiste auf bösen Prärien, auf bösen Steppen, flachen bösen Leeren.
hin und her, immer wieder neu entfacht
durch die Hitze der flachen Ebenen des Hades.
Harry Martinson (erster von drei Teilen des Gedichts)
Robert Bly fragt nach der Lektüre des Gedichts von Martinson, in „Die kindliche Gesellschaft. Über die Weigerung erwachsen zu werden.“, ob wir inzwischen an einem solch flachen Ort leben. Und dort wo wir flach sind, ein flaches Verhalten zeigen? Ich frage mich, was das für mich bedeuten könnte. Was bedeutet es flach zu sein? Keine Tiefe zu haben, keine Höhe?
Als erstes fällt mir ein, etwas einfach zu übernehmen ohne es zu durchdringen, zu durchwirken. Mit meinem Blick an der Oberfläche zu bleiben. Erst wenn ich tief eintauche sehe ich, ob ein Mensch, eine Situation, ein Verhalten mich berührt. Ob ich ihn berühre. Ich kann etwas nur tief durchdringen, wenn ich es tief in mich hinein lasse. Dadurch entsteht Dreidimensionaliltät in meinem Sein. Das erreiche ich allerdings nur mit Zeit. Die vierte Dimension gibt mir die Möglichkeit genau hinzuspüren, zu prüfen, zu ertasten um was es sich handelt. Die Zeit, die ich mir gebe ist der Anker, der mich in die Tiefe gehen lässt, aus der Höhe entsteht.
Übernehme ich nur die Sichtweise anderer ohne zu prüfen, was für mich gilt, gebe es eventuell noch so weiter, werde ich flach. Ich verliere die Zeit, gebe meine Tiefe auf, damit verschwindet automatisch meine Höhe. Was bleibt ist die Zweidimensionalität von Länge und Breite. Wie Martinsons Dämonen krieche ich dann als Drachenschuppe über die Oberfläche des Hades und werde irgendwann selbst zum flachen Dämon in der Hölle. Und dann kommt das Vergessen. Meines Ursprungs, meiner Lebendigkeit, meiner Kinder. In der flachen Welt des Hades gibt es keine Kreise, keine Bögen. Alles was organisch gewunden ist, ist verschwunden. Es bleibt die Kälte von Linien, Kanten und Winkeln. Die Fläche ebnet -wie in dem Gedicht- die Gräber ein, was zu Vergessen führt. So wie Vergangenheit Tiefe ist, die in die Zukunft wirkt, ist das Grab Tiefe und Höhe, die durch das Glätten zur ebenen Fläche des Vergessens ohne Zukunft wird.
Ebenso kann ich tief in mein Leben eintauchen und die Schätze hinter den Schmerzen und Ängsten entdecken. Meine Tiefe gibt mir Kontur, Charakter, zeigt meine Ecken und Kanten, meine weichen, zarten und groben Teile. Doch es braucht Mut in einer Gesellschaft der Angst, der geschliffenen Konturen sich mit dem zu zeigen, was sich hinter den Masken der Persönlichkeit befindet. Je öfter ich etwas aus der Tiefe nach oben hole, um so klarer werde ich. In mir und für andere. Ich gewinne mit der Tiefe zeitgleich und in gleichem Ausmaß, an Höhe und Sichtbarkeit. Und ich werde lebendig. Mit Schleifen, Spiralen, Krümmungen organischen Gebilden in Fläche, Höhe, Tiefe und der Zeit.
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