„Wie kommt das Böse in die Welt? Mir wurde immer klarer: Das Böse wird in jeder Generation neu erschaffen. Das Neugeborene ist unschuldig. Wie auch immer seine Anlagen sein mögen, das Neugeborene verspürt nicht den Drang, Leben zu zerstören, sondern es will gepflegt, geschützt und geliebt werden und selbst lieben. Wenn diese Bedürfnisse nicht erfüllt werden, wenn das Kind statt dessen mißhandelt wird, werden hier Weichen gestellt. Ein Mensch fühlt sich nur dann zur Destruktion gedrängt, wenn seine Seele am Anfang seines Lebens gefoltert wurde. Ein in Liebe und Achtung aufgewachsenes Kind ist nicht für Kriege motiviert. Das Böse gehört nicht notwendig zur menschlichen Natur.“
Alice Miller in: ‚Evas Erwachen. Über die Auflösung emotionaler Blindheit‘
Wenn es so ist, sollten wir uns die Kindheiten unserer politischen Führer ansehen. Wir sollten schauen, wie sie behandelt wurden. Ob sie mehr emotionale Wärme oder Kälte erfahren haben. Therapie und die Auseinandersetzung mit der eigenen Kindheit und den transgenerationalen Übertragungen aus unserem Familiensystem sollten eine Vorraussetzung für ein politischen Amt sein. Solange emotionaler Missbrauch nicht gesehen und der Schmerz darüber nicht gespürt werden durfte, wird er wiederholt. Wieder und wieder. Wer Krieg in seiner Seele hat, wird Krieg als Mittel des menschlichen Umgangs miteinander sehen. Wer als Kind keine bedingungslose Liebe erfahren hat und sich stattdessen an die Wünsche von Menschen anpassen musste, von denen seine Existenz abhing, wächst in Machtverhältnissen auf, die er verinnerlicht und als Erwachsener, so oder ähnlich, in die Welt trägt.
Wir alle sind so aufgewachsen. Unsere Eltern waren und sind traumatisiert durch Kriege oder durch das Aufwachsen mit traumatisierten Eltern. Als Kind angeschrieen, mit emotionaler Kälte behandelt, körperlich misshandelt oder sexuellem Missbrauch ausgesetzt zu sein, erinnert fatal an Krieg. Auf jeden Fall erzeugt es in uns Trauma. Kinder können sich erst einmal nicht selbst schützen. Sie sind auf Schutz angewiesen.
Die Kindheiten vieler Politiker wurden beschrieben. Wir wissen wie Hitler, Stalin, beide Clintons, Trump, Putin und viele andere aufwuchsen. Wir wissen, dass sie emotionale Folter, Misshandlung, sexuelle Traumata, emotionale Kälte, frühe Trennung von ihren Eltern und viel Schlimmes mehr erfahren haben. Wie können wir nur auf die Idee kommen, dass Menschen, die so gelitten haben, ohne dieses Leid aufzuarbeiten, nur weil sie eloquente und charmante Masken tragen, gut für unsere Welt sein könnten? Wir können es nur deshalb, weil wir auch verletzt sind. Weil wir ähnliche Wunden tragen. Weil wir nicht an diese Wunden, ja noch nicht einmal an die Möglichkeit dieser Wunden erinnert werden wollen. Würden wir die Möglichkeit kindlicher Traumata in Betracht ziehen, könnten sich die dunklen Stellen in uns melden, in die wir unseren kindlichen Schmerz, unsere Verzweiflung und unsere Hilflosigkeit verbannt haben. Und das möchten wir vermeiden, weil diese inneren Anteile nicht wissen, dass wir inzwischen erwachsen sind. Dass Zeit vergangen ist und wir heute andere Möglichkeiten haben mit schwierigen Gefühlen umzugehen.