Kinder brauchen starke und liebevolle Eltern. Das macht sie stark und liebevoll.
Da wir jedoch in einer Welt leben, die wir seit tausenden Jahren mit Krieg, Hass und Gewalt überziehen, haben wir alle mehr oder weniger traumatisierte Eltern. In der langen Reihe unserer Ahnen wurde die Nicht-Liebe von Generation zu Generation weitergegeben. Was man nicht hat, kann man nicht geben.
Unsere Kultur verlangt von uns eine andere, ja konträre Haltung. Elternliebe, Mutterliebe, Vaterliebe darf nicht nicht sein. Sie wird quasi als naturgegeben angesehen. Sie ist verklärt, romantisiert und fern jeder Realität.
Wie Arno Gruen in seinen Büchern eindrucksvoll darlegt, werden wir alle mit Gleichgültigkeit, Abwertung, Hass in der Maske der Liebe gefüttert. Lesen wir einen solchen Satz, sträubt sich alles in uns. Wir sind sicher, das mag vielleicht bei anderen oder in früheren Zeiten zugetroffen haben, aber nicht bei uns. Schließlich erinnern wir uns an Spiele mit Mutter oder Vater, an lächelnde Gesichter, in denen wir Liebe zu erkennen glaubten. Zum Glück hatten die meisten von uns auch diese Momente in ihrer Kindheit. Kinder, die nichts davon haben, sterben. Da wir da sind, da wir unsere Kindheit überlebt haben, hatten wir solche Momente, die unser Herz nährten.
Das Drama fand in größerer Tiefe statt. Die Kälte in unseren Eltern spürten wir täglich. Im Nicht-Beachtet-Werden unserer Bedürfnisse, in Nebensätzen, wie „das ist doch nicht so schlimm“, „stell dich nicht so an“, usw. Darin, dass unsere Eltern uns nicht mit Neugier auf unser Sosein betrachteten, sondern ein Projekt aus uns machten. Darin, dass sie uns mit Dingen überhäuften, die wir nicht brauchten, uns aber Zeit, Zuwendung, Nachsicht und Verständnis verweigerten.
Nichts von alledem taten sie bewusst böswillig. Sie taten es, weil alle es so machten, weil es ihnen von der Gesellschaft, von Pädagogen, von Ärzten, ihren Eltern, Freunden und anderen wohlmeinenden Menschen so vermittelt wurde. Sie taten es, weil sie mit ihren inneren Unzulänglichkeiten beschäftigt waren, die sie irgendwie im Außen kompensieren mussten. Oder weil sie dem Glauben aufgesessen waren, wie wichtig Materielles sei und die Kinder mussten da halt zurück stecken. Dafür konnte man dann zweimal jährlich in Urlaub fliegen, ein besonderes Auto fahren oder was auch immer.
Bestehen bleibt, dass wir nicht die Liebe erhielten, die unser Geburtsrecht ist. Und das war unerträglich. Kinder können es nicht ertragen, dass Eltern sie nicht wirklich wirklich lieben. Also taten wir, was wir tun mussten, um diese Misere zu lösen. Wir taten, was auch schon unsere Eltern und deren Eltern und so viele Eltern zuvor getan hatten. Wir nahmen die Schuld auf uns. Wenn sie uns nicht lieben konnten, dann weil wir aus irgend einem Grund nicht liebenswert waren. Vielleicht lag es an unserem Verhalten, an unserem Aussehen, vielleicht waren wir auch von Grund auf falsch.
Die andere Möglichkeit, die wir hatten, war, die ungeliebten Anteile statt zu uns zu nehmen, auf einen Feind im Außen zu projizieren. Dieser Weg brachte uns in die perfekte Anpassung an Eltern, Gesellschaft und Kultur. Denn in unserer Kultur werden diejenigen in Geschichtsbüchern erwähnt, die durch „viel Feind, viel Ehr“ „Großes“ erreichten. Dabei fällt uns nicht auf, dass dieses Große immer durch Spaltung in „wir“ und „die Anderen“ und deren Niederwerfung errungen wird. Wie auch? Unsere Gesellschaftsspiele, unsere Sportveranstaltungen, Schule, Ausbildung, Beruf beruhen auf Konkurrenz. Wir sind darauf programmiert unsere Energie nach außen zu richten. Was wir auch gerne tun, da im Inneren unsere Dämonen lauern. Dort irgendwo ist der Schmerz unserer Kindheit verborgen, dass wir nicht geliebt wurden. Also passen wir uns weiter an die Gesellschaft an, kämpfen gegen einen Feind im Außen und gaukeln uns vor, wir wüssten was Liebe sei.
Jeder von uns kann jederzeit diese endlose transgenerationale Weitergabe von Unglück unterbrechen. Es braucht Mut, sicher. Den Mut uns unserem Inneren zuzuwenden. Wie Innana in die Tiefe hinabzusteigen, um unsere dunkle Schwester zu besuchen. Wenn wir dort bei Ereschkigal ankommen, nackt und auf Knien, müssen wir sterben. Unser Ich, wie wir es bisher kannten muss sterben, um die Oberfläche wieder sehen zu dürfen. Und danach müssen wir uns wiederholende Rituale schaffen, die uns wieder und wieder in die Tiefe führen, um unserem Leben eine Balance zu geben, die Schmerzen anerkennt, statt sie zurückzuweisen. Erst dann haben wir wahre Lebendigkeit, ein wahres Leben gewonnen. Dann können wir, aus unserem Bewusstsein für den Schmerz heraus, unseren Eltern und Ahnen vergeben. Und unsere Kinder erkennen, als die, die sie wirklich sind. Wir können sie in Liebe betrachten ohne unseren Schmerz zu verleugnen.
No Comments