Ich - Du - Wir

In der Tiefe der Gefühle

Gerade ist bei vielen kritischen, frei denkenden Menschen die Aufarbeitung der letzten drei Jahre ein Thema. 

Ganz verstehen kann ich das nicht. Mir erschließt sich nicht, wie etwas aufgearbeitet werden kann, das noch keinen Abschluss gefunden hat und von dem niemand weiß, ob das Schlimmste tatsächlich schon vorbei ist, bzw. dieses noch kommt und wir noch gar nicht wissen worum es sich handelt.

Dazu kommt, dass zumindest parallel zu Konsequenzen, Vergeben und Verzeihen sehr genau hingeschaut werden sollte was in unserer Gesellschaft fehlt, das dieses Abgleiten in faschistoide Zustände hätte verhindern können. Die Gegenwart zeigt, dass die Aufarbeitung nach dem dritten Reich wohl fundamental wichtige Bereiche nicht erreicht hat. Ausgelassen wurden die Themen, die die inneren individuellen Seinsebenen betreffen und diese sollten wir nun ins Bewusstsein holen.
Eine Gesellschaft, die sich auf diese Weise spalten lässt, wie wir es zur Zeit erleben, kann nur aus Individuen bestehen, die eigene innere Anteile unterdrückt und abgespalten haben. Denn die Gesellschaft als solches gibt es nicht. Sie besteht immer aus einzelnen Menschen. Betrachten wir also die einzelnen Menschen, um zu erkennen, wo unser Lernfeld liegt. Was in letzter Konsequenz bedeutet uns selbst zu betrachten.

Wir brauchen eine vom Individuum ausgehende Heilung, und um dies zu erreichen einen öffentlichen Diskurs dazu. Es ist jetzt an uns allen, neben den unterschiedlichen Faktenebenen auch das in den Blick zu nehmen, was wir bisher individuell und gemeinschaftlich ausgegrenzt haben.

Dazu gehören aus meiner Sicht die Schnittstellen zu unserer mentalen und psychischen Realität, und ganz wichtig, die Frage nach spirituellen Themen und ihrem Stellenwert in unserer Gesellschaft. Dazu die Betrachtung einer ganzheitlichen Lebensweise, durch welche eine nicht auf Konsum gestützte Zufriedenheit wachsen kann. In der Tiefe zufriedene oder sogar glückliche Menschen neigen weit weniger dazu, sich irrationalen Ängsten zu unterwerfen, Neid- und Hassgefühle zu entwickeln und ihr Ego auf Kosten anderer aufzublasen. Die Wurzeln der gesellschaftlichen Fehlentwicklungen sind in der Tiefe jedes einzelnen zu finden, im Einfrieren unserer Gefühle, in einer Vorstellung von uns, die nicht der Wahrheit entspricht.

Wie kommen wir aus der Falle des Wegdrückens unangenehmer Gefühle heraus?

Von klein auf werden wir erstmal dazu hingeführt unangenehme Gefühle zu vermeiden und glückliche Gefühle zu suchen. Oft wachsen wir auf und sind mit unseren Gefühlen alleine und unvertraut, weil die Erwachsenen um uns nicht über ihre oder unsere Gefühle sprechen. Indem wir sie beobachten, lernen wir, dass sie Situationen suchen, die sie mögen und wir tun es ihnen nach. Viel mehr erfahren wir oft nicht. Irgendwann haben wir dann unsere Gefühle tief in uns begraben, sie sogar vor uns selbst verborgen. Dann glauben wir ‚andere‘ seien die Ursache unangenehmer wie auch angenehmer Gefühle. Würden sie nur: so etwas nicht sagen, sich nicht so verhalten, dann ginge es uns gut. Damit überlassen wir unsere Eigenmacht anderen und stehlen uns gleichzeitig aus der Verantwortung. 

Daneben verkennen wir nicht nur, dass niemand außer wir selbst für unsere Gefühle verantwortlich ist, wir verkennen auch, dass wir mit einem Verhalten im Außen nur resonieren, weil wir dazu schon ein Gefühl in uns haben. Tief versteckt, das sich jetzt als Antwort auf die Situation im Außen meldet. Das gibt uns die Möglichkeit, dieses vor langer Zeit weggedrückte, Gefühl zu sehen, zuzulassen und die in ihm liegende Kraft in unser Leben zu integrieren. Wir gehen in die Verantwortung für alles was uns betrifft. Unsere Gefühle, unsere Gedanken und unser Handeln. Nicht ‚du bist schuld, dass ich mich so fühle und verhalte‘, sondern ‚ich fühle und verhalte mich so, wie ich es tue und übernehme die volle Verantwortung dafür‘. Schauen wir mit diesem Satz auf die vergangenen Jahre zurück, sind wir am Ausgangspunkt unserer ganz eigenen, individuellen Aufarbeitung und können diese für unsere innere Entwicklung nutzen.

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