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Aktuell, poem

Ich verändere mich.
Langsam. Kaum merklich.
Eine Knospe in mir öffnet sich.
Fast kann ich sagen „Ich bin wertvoll“.

Ich spüre die Bewegung in meinem Inneren.
Raum gebend.
So wie sein Gesang dem kleinen Vogel Raum gibt.
Hörbar für andere und die Welt.

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The ultimate touchstone of friendship is not improvement, neither of the other nor of the self: the ultimate touchstone is witness, the privilege of having been seen by someone and the equal privilege of being granted the sight of the essence of another, to have walked with them and to have believed in them, and sometimes just to have accompanied them for however brief a span, on a journey impossible to accomplish alone.

– David Whyte

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Hades und Euklid

I
Als Euklid den Hades vermessen wollte
stellte er fest, dass es ihm an Tiefe und Höhe fehlte.
Dämonen, flacher als Felsen
wüteten auf der Ebene des Todes,
rannten mit echolosem Hundegebell
entlang der Linien von Feuer und Eis,
entlang der gezeichneten Linien des Hades.

Entlang der Linien, die zerbrachen
aber als Linien zurückkamen
ging eine Dämonenschar nach der anderen in die Breite, nacheinander und parallel durch den Hades.

Es gab keine Wellen, keine Höhen, keine Tiefen, keine Täler.
Nur Linien, parallele Verläufe, schräge Winkel.
Die Dämonen bewegten sich wie elliptische Platten;
bekleideten ein endloses Feld wie mit wandernden Drachenschuppen im Hades.

Auf eingeebneten Friedhöfen, die das Vergessen mit seiner Ebenheit verwüstet hatte
krochen Schlangen – selbst nur gröbere Linien:
eilten, krochen, gestikulierten
entlang laufender Linien.

Ein tosendes Grasfeuer in rasendem Flug
bewegte sich über den Boden wie ein Rasiermesser aus Feuer.
Es reiste auf bösen Prärien, auf bösen Steppen, flachen bösen Leeren.
hin und her, immer wieder neu entfacht
durch die Hitze der flachen Ebenen des Hades.

Harry Martinson (erster von drei Teilen des Gedichts)

Robert Bly fragt nach der Lektüre des Gedichts von Martinson, in „Die kindliche Gesellschaft. Über die Weigerung erwachsen zu werden.“, ob wir inzwischen an einem solch flachen Ort leben. Und dort wo wir flach sind, ein flaches Verhalten zeigen? Ich frage mich, was das für mich bedeuten könnte. Was bedeutet es flach zu sein? Keine Tiefe zu haben, keine Höhe?

Als erstes fällt mir ein, etwas einfach zu übernehmen ohne es zu durchdringen, zu durchwirken. Mit meinem Blick an der Oberfläche zu bleiben. Erst wenn ich tief eintauche sehe ich, ob ein Mensch, eine Situation, ein Verhalten mich berührt. Ob ich ihn berühre. Ich kann etwas nur tief durchdringen, wenn ich es tief in mich hinein lasse. Dadurch entsteht Dreidimensionaliltät in meinem Sein. Das erreiche ich allerdings nur mit Zeit. Die vierte Dimension gibt mir die Möglichkeit genau hinzuspüren, zu prüfen, zu ertasten um was es sich handelt. Die Zeit, die ich mir gebe ist der Anker, der mich in die Tiefe gehen lässt, aus der Höhe entsteht.

Übernehme ich nur die Sichtweise anderer ohne zu prüfen, was für mich gilt, gebe es eventuell noch so weiter, werde ich flach. Ich verliere die Zeit, gebe meine Tiefe auf, damit verschwindet automatisch meine Höhe. Was bleibt ist die Zweidimensionalität von Länge und Breite. Wie Martinsons Dämonen krieche ich dann als Drachenschuppe über die Oberfläche des Hades und werde irgendwann selbst zum flachen Dämon in der Hölle. Und dann kommt das Vergessen. Meines Ursprungs, meiner Lebendigkeit, meiner Kinder. In der flachen Welt des Hades gibt es keine Kreise, keine Bögen. Alles was organisch gewunden ist, ist verschwunden. Es bleibt die Kälte von Linien, Kanten und Winkeln. Die Fläche ebnet -wie in dem Gedicht- die Gräber ein, was zu Vergessen führt. So wie Vergangenheit Tiefe ist, die in die Zukunft wirkt, ist das Grab Tiefe und Höhe, die durch das Glätten zur ebenen Fläche des Vergessens ohne Zukunft wird.

Ebenso kann ich tief in mein Leben eintauchen und die Schätze hinter den Schmerzen und Ängsten entdecken. Meine Tiefe gibt mir Kontur, Charakter, zeigt meine Ecken und Kanten, meine weichen, zarten und groben Teile. Doch es braucht Mut in einer Gesellschaft der Angst, der geschliffenen Konturen sich mit dem zu zeigen, was sich hinter den Masken der Persönlichkeit befindet. Je öfter ich etwas aus der Tiefe nach oben hole, um so klarer werde ich. In mir und für andere. Ich gewinne mit der Tiefe zeitgleich und in gleichem Ausmaß, an Höhe und Sichtbarkeit. Und ich werde lebendig. Mit Schleifen, Spiralen, Krümmungen organischen Gebilden in Fläche, Höhe, Tiefe und der Zeit.

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Ich segne die Nacht, die mein Herz nährte,

um die Geister der Sehnsucht

ins Fließen zu befreien.

Und die Traumgestalt, die kam,

um aus dem Dunkel unsichtbares Brot

für den Hunger zu ernten.

Alles, was ewig in mir ist,

heißt das Wunder dieses Tages willkommen,

das Feld der Helligkeit, das es erschafft.

Das allen Dingen Zeit bietet,

zu entstehen und zu erleuchten.

Auf den Altar der Morgendämmerung lege ich:

Die stille Treue des Atems,

das Gedankenzelt, das mir Unterschlupf bietet,

die Welle des Begehrens, der ich Ufer bin,

und alle Schönheit, die vom Auge angezogen wird.

Möge mein Verstand sich heute der

unsichtbaren Geographie bewusst werden,

die mich zu neuen Grenzen einlädt,

das tote Gehäuse der vergangenen Tage zu zerbrechen,

zu riskieren, gestört und verändert zu werden.

Möge ich heute den Mut haben,

das Leben zu leben, das ich lieben würde,

meinen Traum nicht länger hinauszuschieben,

sondern endlich das zu tun, wofür ich hierher gekommen bin,

und mein Herz nicht länger an die Angst zu verschwenden.

~ John O’Donohue

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Bleib erschütterbar und widersteh

Also heut: zum Ersten, Zweiten, Letzten:
Allen Durchgedrehten, Umgehetzten,
was ich, kaum erhoben, wanken seh,
gestern an und morgen abgeschaltet:
Eh dein Kopf zum Totenkopf erkaltet:
bleib erschütterbar – doch widersteh!

Die uns Erde, Wasser, Luft versauen
– Fortschritt marsch! mit Gas und Gottvertrauen –
Ehe sie dich einvernehmen, eh
du im Strudel bist und schon im Solde,
wartend, daß die Kotze sich vergolde:

Schön, wie sich die Sterblichen berühren –
Knüppel zielen schon auf Hirn und Nieren,
daß der Liebe gleich der Mut vergeh …
Wer geduckt steht, will auch andre biegen.
(Sorgen brauchst du dir nicht selber zuzufügen;
alles, was gefürchtet wird, wird wahr!)
Bleib erschütterbar.
Bleib erschütterbar – doch widersteh.

Widersteht! im Siegen Ungeübte,
zwischen Scylla hier und dort Charybde
schwankt der Wechselkurs der Odyssee …
Finsternis kommt reichlich nachgeflossen;
aber du mit – such sie dir! – Genossen!
teilst das Dunkel, und es teilt sich die Gefahr,
leicht und jäh – – –
Bleib erschütterbar!
Bleib erschütterbar – und widersteh.

Peter Rümkorf

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Kindheit

Paris 1906

Es wäre gut viel nachzudenken, um
von so Verlornem etwas auszusagen,
von jenen langen Kindheit-Nachmittagen,
die so nie wiederkamen – und warum?

Noch mahnt es uns – : vielleicht in einem Regen,
aber wir wissen nicht mehr was das soll;
nie wieder war das Leben von Begegnen,
von Wiedersehn und Weitergehn so voll
wie damals, da uns nichts geschah als nur
was einem Ding geschieht und einem Tiere:
da lebten wir, wie Menschliches, das Ihre
und wurden bis zum Rande voll Figur.

Und wurden so vereinsamt wie ein Hirt
und so mit großen Fernen überladen
und wie von weit berufen und berührt
und langsam wie ein langer neuer Faden
in jene Bilder-Folgen eingeführt,
in welchen nun zu dauern uns verwirrt.

Rainer Maria Rilke

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How I became a warrior

Once, I ran from fear
so fear controlled me.
Until I learned to hold fear like a newborn.
Listen to it, but not give in.
Honour it, but not worship it.
Fear could not stop me anymore.
I walked with courage into the storm.
I still have fear,
but it does not have me.

Once, I was ashamed of who I was.
I invited shame into my heart.
I let it burn.
It told me, “I am only trying
to protect your vulnerability”.
I thanked shame dearly,
and stepped into life anyway,
unashamed, with shame as a lover.

Once, I had great sadness
buried deep inside.
I invited it to come out and play.
I wept oceans. My tear ducts ran dry.
And I found joy right there.
Right at the core of my sorrow.
It was heartbreak that taught me how to love.

Once, I had anxiety.
A mind that wouldn’t stop.
Thoughts that wouldn’t be silent.
So I stopped trying to silence them.
And I dropped out of the mind,
and into the Earth.
Into the mud.
Where I was held strong
like a tree, unshakeable, safe.

Once, anger burned in the depths.
I called anger into the light of myself.
I felt its shocking power.
I let my heart pound and my blood boil.
Listened to it, finally.
And it screamed, “Respect yourself fiercely now!”.
“Speak your truth with passion!”.
“Say no when you mean no!”.
“Walk your path with courage!”.
“Let no one speak for you!”
Anger became an honest friend.
A truthful guide.
A beautiful wild child.

Once, loneliness cut deep.
I tried to distract and numb myself.
Ran to people and places and things.
Even pretended I was “happy”.
But soon I could not run anymore.
And I tumbled into the heart of loneliness.
And I died and was reborn
into an exquisite solitude and stillness.
That connected me to all things.
So I was not lonely, but alone with All Life.
My heart One with all other hearts.

Once, I ran from difficult feelings.
Now, they are my advisors, confidants, friends,
and they all have a home in me,
and they all belong and have dignity.
I am sensitive, soft, fragile,
my arms wrapped around all my inner children.
And in my sensitivity, power.
In my fragility, an unshakeable Presence.

In the depths of my wounds,
in what I had named “darkness”,
I found a blazing Light
that guides me now in battle.

I became a warrior
when I turned towards myself.

And started listening.

– Jeff Foster

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Die Blätter tanzen im Himmelsblau.

Der Wald ist windbewegt.

November, doch die Luft ist lau,

der Tod steht wartend am Weg.

*******************

Blätterhimmel.

Novemberwind.

Am Wegrand der Tod.

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Man kann doch die Blättchen und Blütenköpfchen nicht sehen, ohne zu wissen:
Man ist ihnen verwandt …
Der Frühling sagt so laut, dass auch wir Frühlinge sind.
Denn das ist der Grund unseres Entzückens an ihm.

Lou Andreas-Salome

		
				
								
	
poem

Kann mir einer sagen, wohin
ich mit meinem Leben reiche?
Ob ich nicht noch im Sturme streiche
und als Welle wohne im Teiche,
und ob ich nicht selbst noch die blasse, bleiche
frühlingsfrierende Birke bin?

Rainer Maria Rilke