Kann mir einer sagen, wohin ich mit meinem Leben reiche? Ob ich nicht noch im Sturme streiche und als Welle wohne im Teiche, und ob ich nicht selbst noch die blasse, bleiche frühlingsfrierende Birke bin? Rainer Maria Rilke
Ein Lied aus der Nacht
Eine fast schlaflose Nacht. Unser Austausch in der Tempelgruppe gestern. Der Schock sitzt tief in meinen Eingeweiden. Wo sollte er auch sonst sitzen, außer dort, wo ich eingeweiht bin. Mich selbst eingeweiht habe. In zwei langen Jahren. Zwei Jahre sind es schon. Zwei Jahre voller Hoffen und Bangen. Zwei Jahre, in denen die Engel der Veränderung über die Erde ziehen. Zwei Jahre des erzwungenen intensiven Lernens. Zwei Jahre tiefer Einblicke in Bereiche, von denen ich nicht wusste, dass sie existieren. Und es eigentlich auch nicht wissen wollte. Zwei Jahre Ent-Täuschung. Enttäuschung, die tiefer geht und größer ist, als ich es mir je hätte vorstellen können. Zwei Jahre, in denen ich neue Informationen aufnahm, prüfte, wieder verwarf, die Essenz daraus eliminierte, mich vertraut machte, in die Welt hinaus rief, zum Schweigen gebracht wurde, neue Wege suchte, mich selbst zum Schweigen brachte, mitnehmen wollte, gegen Mauern rannte, in Dornengebüsch fiel, mir Hände und Gesicht zerkratzte …
… Freunde verlor …
… zuerst nur in der inneren Wahrnehmung, der ich nicht glauben wollte, in die ich mich flüchtete, wieder verstieß, mich daran festhielt, heulend, schreiend, nicht fühlen, nicht spüren, nicht seien wollend. Um dann aufzugeben. Nachzulassen. Mich auf meinen Knien wiederfindend. Gewaschen, gespült, geschleudert.
Ausgewrungen.
Wer bin ich? Nicht mehr die, die ich mal war.
Das gehört so. Das ist normal. Change is a constant process, stability is an illusion. Seit 20 Jahren begleitet mich dieser Ausspruch von Insoo Kim Berg. Nie erschien er mir so wahr wie in dieser Zeit der Wirrungen und Weigerungen. Der unglaublichen Auswirkungen.
Die Engel der Veränderung ziehen über das Land.
Die Kluft ist so groß. Ich kann sie nicht mehr überbrücken. Ich sehe sie und inzwischen achte ich sie. Ist sie doch nicht nur Ausdruck unseres Auseinanderdriftens, sondern auch tiefe Achtung für meinen bisherigen Weg. Ihr geht eueren Weg, ich meinen. Haben wir diese Wege gewählt? Eine Frage, die ich nicht beantworten kann; oder möchte ich es nicht?
Du stehst dort drüben, ich hier. Du wirkst klein, so weit von mir entfernt. Mein Herz ist warm und offen. Meine Liebe begleitet dich auf deinem Weg. Ich akzeptiere, dass es für dich die gleiche Anstrengung wäre diese tiefe Schlucht zu überwinden, wie für mich.
Ich akzeptiere, dass die Schlucht, hier, an dieser Stelle, nicht überwunden werden kann.
Ich ehre die Schlucht zwischen uns.
Ich verbeuge mich tief.
Dezember 2021
Wenn ich an den Freitagnachmittagen nach der Schule zu meinem Großvater zu Besuch kam, dann war in der Küche seines Hauses bereits der Tisch zum Teetrinken gedeckt. Mein Großvater hatte seine eigene Art, Tee zu servieren. Es gab bei ihm keine Teetassen, Untertassen oder Schalen mit Zuckerstückchen oder Honig. Er füllte Teegläser direkt aus einem silbernen Samowar. Man musste zuerst einen Teelöffel in das Glas stellen, denn sonst hätte das dünne Glas zerspringen können. Mein Großvater trank seinen Tee auch nicht so, wie es die Eltern meiner Freunde taten. Er nahm immer ein Stück Zucker zwischen die Zähne und trank dann den ungesüßten heißen Tee aus dem Glas. Und ich machte es wie er. Diese Art, Tee zu trinken, gefiel mir viel besser als die Art, auf die ich meinen Tee zu Hause trinken musste. Wenn wir unseren Tee ausgetrunken hatten, stellte mein Großvater stets zwei Kerzen auf den Tisch und zündete sie an. Dann wechselte er auf Hebräisch einige Worte mit Gott. Manchmal sprach er diese Worte laut aus, aber meist schloss er einfach die Augen und schwieg. Dann wusste ich, dass er in seinem Herzen mit Gott sprach. Ich saß da und wartete geduldig, denn ich wusste, jetzt würde gleich der beste Teil der Woche kommen. Wenn Großvater damit fertig war, mit Gott zu sprechen, dann wandte er sich mir zu und sagte: „Komm her, Neshumele." Ich baute mich dann vor ihm auf, und er legte mir sanft die Hände auf den Scheitel. Dann begann er stets, Gott dafür zu danken, dass es mich gab und dass er ihn zum Großvater gemacht hatte. Er sprach dann immer irgendwelche Dinge an, mit denen ich mich im Verlauf der Woche herumgeschlagen hatte, und erzählte Gott etwas Echtes über mich. Jede Woche wartete ich bereits darauf, zu erfahren, was es diesmal sein würde. Wenn ich während der Woche irgend etwas angestellt hatte, dann lobte er meine Ehrlichkeit, darüber die Wahrheit gesagt zu haben. Wenn mir etwas misslungen war, dann brachte er seine Anerkennung darüber zum Ausdruck, wie sehr ich mich bemüht hatte. Wenn ich auch nur kurze Zeit ohne das Licht meiner Nachttischlampe geschlafen hatte, dann pries er meine Tapferkeit, im Dunkeln zu schlafen. Und dann gab er mir seinen Segen und bat die Frauen aus ferner Vergangenheit, die ich aus seinen Geschichten kannte - Sara, Rahel, Rebekka und Lea -, auf mich aufzupassen. Diese kurzen Momente waren in meiner ganzen Woche die einzige Zeit, in der ich mich völlig sicher und in Frieden fühlte. In meiner Familie von Ärzten und Krankenschwestern rang man unablässig darum, noch mehr zu lernen und noch mehr zu sein. Da gab es offenbar immer noch etwas mehr, das man wissen musste. Es war nie genug. Wenn ich nach einer Klassenarbeit mit einem Ergebnis von 98 von 100 Punkten nach Hause kam, dann fragte mein Vater: „Und was ist mit den restlichen zwei Punkten?" Während meiner gesamten Kindheit rannte ich unablässig diesen zwei Punkten hinterher. Aber mein Großvater scherte sich nicht um solche Dinge. Für ihn war mein Dasein allein schon genug. Und wenn ich bei ihm war, dann wusste ich irgendwie, mit absoluter Sicherheit, dass er Recht hatte. Mein Großvater starb, als ich sieben Jahre alt war. Ich hatte bis dahin nie in einer Welt gelebt, in der es ihn nicht gab, und es war schwer für mich, ohne ihn zu leben. Er hatte mich auf eine Weise angesehen, wie es sonst niemand tat, und er hatte mich bei einem ganz besonderen Namen genannt - "Neshumele", was "geliebte kleine Seele" bedeutet. Jetzt war niemand mehr da, der mich so nannte. Zuerst hatte ich Angst, dass ich, wenn er mich nicht mehr sehen und Gott erzählen würde, wer ich war, einfach verschwinden würde. Aber mit der Zeit begann ich zu begreifen, dass ich auf irgendeine geheimnisvolle Weise gelernt hatte, mich durch seine Augen zu sehen. Und dass einmal gesegnet worden zu sein heißt, für immer gesegnet zu sein. Viele Jahre später, als meine Mutter im hohen Alter überraschenderweise begann, selbst Kerzen anzuzünden und mit Gott zu sprechen, erzählte ich ihr von diesen Segnungen und was sie mir bedeutet hatten. Da lächelte sie traurig und sagte zu mir: „Ich habe dich an jedem Tag deines Lebens gesegnet, Rachel. Ich habe nur nicht die Weisheit besessen, es laut auszusprechen.“ Rachel Naomi Remen
Wo will ich hin? Welche Entscheidungen soll ich treffen?
Ich sehe keine Veränderungen, nur Oberflächengekräusel.
Was ich sehe? Dass sie die Leine mal kürzer, mal länger lassen. Dass mit großem Hin und Her versucht wird, uns zu verwirren. Dass uns Karotten vor die Nase gehängt werden, denen wir nachjagen sollen. Dass Ängste geschürt werden. Dass Familien gespalten werden. Dass Freundschaften zerbrechen. Dass die meisten Menschen, die ich kenne und treffe, einen hohen Stresslevel haben.
Drei Schritte vor, zwei zurück, Ausfallschritt, einen zur Seite … Ein Tanz ohne feste Schrittfolge. Zu einer Musik, die Rhythmus und Melodie ändert. Unter allem ein tiefer Bass, der Unheil verkündet.
Ja, natürlich ist es richtig: da beschreibt ein Mainstreamjournalist tatsächlich mal die Realität. Da macht ein Politiker den Wendehals und fordert das Gegenteil von dem, was er zuvor wollte. Da tun sich ein paar Ärzte oder Juristen zusammen und verfassen einen öffentlichen Brief. Mainstreamsender greifen Themen auf, die sie zuvor als Fake und unsolidarisch bezeichnet haben.
Tatsächlich kann ich das nicht mehr ernst nehmen. In meinem Erleben geht das seit Beginn der Krise so. Und sogar, wenn ich die Inhalte ernst nähme, die selbsternannten Verkünder von „der anderen Seite“ kann ich nur mit tiefem Misstrauen betrachten. So „leichtgläubig“ ich bis 2020 unserer Politik gegenüber war, aktuell gibt es nichts mehr, was ich einfach so glaube und hinnehme. Zwei Jahre lang wurde die Realität verdreht, die Wahrheit verbogen, wurden Menschen belogen, weggesperrt, geängstigt, körperlich verletzt, getötet …
Es gibt nichts, das aus dieser Ecke kommt und mir auch nur ein Quentschen Vertrauen vermitteln könnte. Ich glaube nicht daran, dass Änderung geschieht ohne Aufdeckung, Eingeständnis, Reue und Leid über schreckliche Fehler, die gemacht wurden.
Menschen ändern sich nicht ohne Betroffenheit. Bewusst gespürte Betroffenheit.
Das wäre Veränderung in der Tiefe. Aus der Tiefe heraus.
All das sehe ich nicht.
Nur Oberflächengekräusel.
Das gilt auch für uns. Es ist wichtig, die Realität wahrzunehmen. Genau hinzuschauen. Was sehe ich? Was nehme ich wahr? Was möchte ich sehen? Was möchte ich nicht sehen? Und ja, deine Realität ist eine andere als meine. Unsere Realitäten sind gefärbt durch unsere Filter, unsere Erfahrungen, unser gelebtes Leben. Und das ist wunderbar so. Es schafft Diversität.
Wenn wir uns unserer Realität nicht stellen, wenn wir glauben bestimmte Muster nicht mehr aushalten, ertragen zu können, wenn wir etwas so sehr wünschen, dass wir Macht ausüben, um es herbei zu zwingen, dann ist das Macht gegen uns, oft auch gegen andere. Wir wiederholen, was uns angetan wurde.
Stattdessen könnten wir, zuerst vielleicht nur eine Zehenspitze, in den Strom des Lebens tauchen. Wir könnten austesten, wie es sich anfühlt, unsere sicheren Muster zu verlassen und uns dem Leben anzuvertrauen. Wir könnten unseren Wunsch nach Sicherheit, unsere Angst vor Ausgrenzung wahrnehmen. Und uns einlassen. Ausprobieren wie es sich anfühlt einen Schritt in die Freiheit zu tun. Die Freiheit in der Gegenwart zu sein und offen auf das zu reagieren, was sich zeigt.
Ja, die Muster und Strategien haben uns Dienste geleistet. Als wir klein waren, haben sie uns geschützt und wir haben vielleicht nicht gemerkt, dass wir diese alten Kleider immer noch tragen. Haben uns an die Spannung über der Brust gewöhnt, der Druck auf der Hüfte ist uns so vertraut, dass wir glauben, er gehöre zu uns.
Das alles gehört zu unseren Realitäten. Wir können nur ändern, was wir bewusst wahrnehmen. Die bewusste Wahrnehmung führt uns zu dem Punkt, an dem wir eine Entscheidung treffen können. Ohne diesen Punkt, diese Unterbrechung, rutschen wir in alte Muster und handeln in vorgeformter Weise. Wir verpassen die Gegenwart. Den einzigen Moment, an dem das Leben sich entfalten kann, an dem wir leben können.
Lasst uns wild und frei und ungezähmt in eine offene und weite Zukunft gehen. Wir sind hier, um das Instrument der Freiheit zu spielen. Ganz und gar und im Moment und aus der Tiefe unseres Seins.
wo ein anderes ist, da ist angst.
upanishaden
Ich befreie meine Eltern von dem Gefühl, dass sie mit mir versagt haben.
Ich befreie meine Kinder von der Notwendigkeit, mich stolz machen zu müssen.
Mögen sie ihre eigenen Wege nach Herzenslust gehen.
Mögen sie ihrer Intuition folgen und so ihre Träume verwirklichen.
Ich entbinde meinen Partner von der Verpflichtung, mich zu vervollständigen.
Mir fehlt nichts, ich lerne die ganze Zeit mit allen Wesen.
Ich danke meinen Großeltern und meinen Vorfahren, die auf die Welt gekommen sind, damit ich heute leben kann.
Ich befreie sie von früheren Versagen und unvollendeten Wünschen, wissend, dass sie ihr Bestes getan haben, um ihre Lebensumstände in bester Art und Weise zu tragen, so gut es ihnen möglich war.
Ich ehre sie, liebe sie und erkenne sie als frei von aller Schuld an.
Ich zeige meine Seele vor ihren Augen, deshalb wissen sie, dass ich nichts mehr verstecke oder schulde, außer mir selbst und meiner eigenen Existenz treu zu sein, indem ich der Weisheit meines Herzens folge.
Ich erfülle meinen Lebensplan frei von familiärer Loyalität.
Ich weiss, dass mein Friede und mein Glück in meiner eigenen Verantwortung liegen.
Ich verzichte auf die Rolle des Retters,
derjenige zu sein, der die Erwartungen anderer erfüllt.
Indem ich durch und nur durch Liebe lerne, ehre ich meine Essenz und segne mein Wesen und meine Ausdrucksweise, auch wenn man mich vielleicht nicht versteht.
Ich verstehe mich, weil nur ich meine Geschichte gelebt und erlebt habe.
Weil ich mich selbst kenne, weiss ich wer ich bin, was ich fühle, was ich tue und warum ich es tue.
Ich ehre mich, ich liebe mich und erkenne mich als frei von Schuld an.
Ich ehre dich, ich liebe dich und erkenne dich als frei von Schuld an.
Ich ehre die Göttlichkeit in mir und in dir.
Wir sind frei.
Nahual-Segen, im 7. Jahrhundert in der Zentralregion von Mexiko
schienen laufen, parallel, immer gleicher abstand, von irgendwo kommend, ins morgen, manchmal auch ins gestern. zwischen den gleisen leere zigarettenschachteln, coladosen, eine tote taube, das genick gebrochen, von fliegen umschwärmt. im betrachten noch, lieg ich bei ihr. spür ihren unnatürlich verdrehten hals, ihren abgespreizten, gebrochenen flügel. und so lieg ich, zwischen den gleisen, die, von irgendwo kommend, ins morgen, manchmal auch ins gestern laufen und lieb dich mit allem, was ich jetzt schon bin.
Gedanken zu Václav Havel: „Wenn der Hauptpfeiler des Systems das Leben in der Lüge ist, dann ist es nicht überraschend, dass die grundlegende Bedrohung des Systems das Leben in der Wahrheit ist.“
Aus: Václav Havel, „Vom Versuch, in der Wahrheit zu leben.“
Wie könnte es aussehen, nicht zuzulassen, dass eine totalitäre Politik Einfluss auf mein Leben nimmt?
Sich nicht hineinziehen lassen in das Narrativ kann unterschiedlichen Motivationen entspringen.
Es kann auf Desinteresse beruhen, auf Widerstand oder auf Interesse am eigenen Leben.
Habe ich kein Interesse, fällt es mir leicht mich nicht hinein ziehen zu lassen. Ein Beispiel auf Covid bezogen, wäre der Einsiedler in der Höhle im Himalaya, der nur an seiner spirituellen Entwicklung interessiert ist. Er wird weder von den Maßnahmen tangiert, noch fühlt er sich vom Virus bedroht.
Widerstand speist sich aus dem Geschehen selbst. Widerstand vertritt eine Meinung, die auf der Meinung dessen beruht, dem ich Widerstand entgegen setzen möchte. Quasi eine Anti-Meinung. Sie ist häufig eine erste Reaktion auf eine Meinung, die nicht meiner inneren Wahrheit entspricht. Bleibe ich im Widerstand hängen, wird keine Entwicklung stattfinden. Entwicklung braucht ein Ziel, eine Vision, einen Ort, der sich nach mir sehnt, dem meine Sehnsucht gilt. Sie ist ein Prozess, in dem ich Schritte machen kann. Widerstand ist wie Tauziehen. Er hält mich an dem Platz fest, an dem das existiert, was mir nicht entspricht.
Leitet mich mein Leben, meine Visionen, meine Vorstellungen, ist es wahrscheinlich, dass ich mich schon lange damit beschäftigt habe, wie und weshalb ich mein Leben auf genau diese Weise lebe. Ich habe mich mit der Welt im Außen, aber auch mit meiner inneren Welt auseinandergesetzt. Wahrscheinlich habe ich mir mein Inneres angeeignet, weiß, dass meine Gefühle mein Ausdruck sind, ebenso meine Gedanken. Mir ist wohl auch klar, dass dies der Bereich ist, in dem ich Verantwortung übernehmen kann. Hier habe ich Einfluss. Hier ist der Ort wahrhafter Freiheit. Ich entscheide welche Ansichten und Meinungen ich mir zu eigen mache. Wem ich erlaube diesen heiligen.inneren.bewussten.Ort zu erreichen. Das Außen ist das Außen und Innen ist Innen. Dazwischen existiert eine Grenze, ein Filter, eine Tür. An dieser Grenze trennen wir nach bewusst und unbewusst. Einzig und allein ich entscheide, was in mein Bewusstsein fließt. Welchen Ideen ich Energie gebe. Pro Sekunde setzt sich unser Gehirn mit etwa 11 Millionen Sinneseindrücken auseinander. Davon nehmen wir circa 40 bewusst wahr. Das Leben ist so enorm und unüberschaubar vielfältig, das Außen zu filtern, ein unbewusster und angeborener Prozess, der es uns erlaubt unseren individuellen Standpunkt einzunehmen. Und es ist der Punkt, an dem persönliche Freiheit beginnt. Meine Entscheidung, womit ich mich beschäftige. Aber auch der Punkt, ab dem ich meine Meinung vom Kollektiv bestimmen lassen kann. Es liegt an mir.
In Krisenzeiten ist es für uns alle schwieriger die einprasselnden Eindrücke zu verarbeiten. Die Krise definiert sich unter anderem dadurch, dass ich nicht weiß, was auf mich zukommt. Ich habe keine Erfahrung damit, kenne die Parameter nicht. Also möchte ich Informationen sammeln, mehr erfahren, auch, um mich oder die, die ich liebe, schützen zu können, so das nötig wird. Dazu muss ich mich, über meine bisherigen Grenzen hinaus, weiten und eine größere Informationsmenge bewusst aufnehmen.
Besteht die Krise länger, kann ich die Offenheit nur begrenzt beibehalten. Diese Öffnung ins Außen fordert meine bisherigen Muster und Strategien heraus. Entweder kann ich die neuen Informationen darin unterbringen oder ich muss nach einem Weg suchen, mich mit ihnen vertraut zu machen.
Während der Krise kann es sein – oder ist es wahrscheinlich -, dass ich mehrfach die Stufen von Desinteresse und Widerstand durchlaufe, bis ich zu dem Punkt zurückkehre, mich wieder auf das zu berufen, was ich in diesem Leben wirklich möchte. Dies wird aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mit dem übereinstimmen, was mich vor der Krise motiviert hat. Denn inzwischen habe ich mich gedehnt und geweitet.
Was also ist meine Wahrheit? Wahrheit muss per se immer prozesshaft sein. Nimmt sie sich aus dem Prozess des Erkennens, erstarrt sie zu einem Muster, einer Strategie. Wahrheit ist die lebendige Antwort auf die Einladungen und Entwicklungen im Außen. Somit ist Wahrheit Lebendigkeit. Beide sind nicht voneinander zu trennen.
Der Lüge des Systems meine Wahrheit entgegenzusetzen, meint dann, im lebendigen Moment des Jetzt fließend, die Antwort zu erspüren und mich und die Welt damit zu überraschen.
Wir liegen in den Schützengräben eines gefrorenen Krieges. Verteidiger nicht kompatibler Welten. Eis auf unseren Herzen.
Doch darunter – der heiße Atem des Drachen. Leidenschaft und Wut und brennendes Verlangen. Der Wunsch nach Kampf. Dem Toben in uns einen Aus.Druck geben wollen.
Spüren und doch nicht spüren wollen.
Brennen und doch nicht brennen wollen.
Erstarrung und doch nicht erstarrt sein wollen.
Kein Weg. Kein Land. Kein Vater … Kein Herz. Keine Sprache. Keine Mutter …
Die Tore geöffnet. Der Feind hat unsere Herzen überrannt. Was bleibt noch zu verteidigen? Wir stehen am Portal des Nordens. Die Eiswüste liegt vor uns. Wir sind gerüstet. Doch wofür?
Vers 17
Ich bin der Vater, die Mutter und der Großvater dieses Universums. Ich bin derjenige, der die Früchte der von den Menschen vollzogenen Handlungen, deren Karma austeilt. Ich bin das einzige Wissenswerte, und ich bin der Ermöglicher allen Wissens. So wie das Wasser beim Durchsickern durch Erdreich letztlich rein wird und andere Dinge rein werden, wenn man sie in Wasser wäscht, erlangt der Mensch Reinheit durch den Kontakt mit mir. Ich bin die Silbe Om, der eigentliche Gotteslaut. Ich bin alles religiöse Schrifttum, das je geschrieben wurde.
Vers 18
Ich bin das Ziel am Ende aller Wege. Ich bin der Erhalter der gesamten Schöpfung. Ich bin der innere Zeuge in jedem Menschen. Ich bin deine einzige dauerhafte Zuflucht; alle Wesen gründen in mir. Ich bin dein bester Freund, der als dein Gewissen in deinem Herzen wohnt. Ich bin der Anfang der Schöpfung, deren Beschützer und deren Auflösung. Ich bin der Ort, zu dem alles Leben zurück kehrt, wenn die Schöpfung sich auflöst – und ich bin der immerwährende unverderbliche Same, aus dem sie abermals entspringt.
Aus: Bhagavad Gita, Der Gesang Gottes, Jack Hawley (Hrsg)