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Moe

Zeitenwende

Klarheit

Einem Freund

Die eigene Klarheit ist ein Geschenk, das wir uns machen. Liebe und Vergebung müssen irgendwann auch für uns gelten. Sonst kann die Entwicklung nicht weiter gehen, wenn wir selbst uns zurück halten. Beginne dich zutiefst zu lieben. Beginne zu erkennen, dass du nicht dein Ego bist. Erkenne, dass in dir ein Beobachter wohnt, der nicht mit deinem Körper altert. Das ist ganz leicht. Immer wenn du das Gefühl hast, nicht deinem biologischen Alter zu entsprechen, bist du mit ihm verbunden. Je öfter du deine Sinne dem Beobachter leihst, umso stärker kannst du ihn spüren. Es ist der Teil in dir, der verbunden ist. Mit den Menschen, den Tieren, den Pflanzen, der Erde, dem Kosmos. Wenn diese Erkenntnis in dir wächst, veränderst du dich. Du erkennst deine Größe und die Größe aller Wesen. Und du siehst, wie viele zwischen ‚sich klein machen‘ und ‚sich groß aufblähen’ wechseln. Du erkennst, dass unsere wahre Größe so sehr darüber hinausgeht … 

Alles was wir wirklich tun können, ist unser Licht leuchten zu lassen. Du kannst niemanden verändern, du kannst auch niemanden heilen. Letztlich kannst du andere am besten durch dein Sein anregen. Je mehr du in deine ursprüngliche Kraft und Stärke gehst, desto klarer bist du. Andere sehen das und es bestärkt sie vielleicht auch. Wahrscheinlich wirst du zu einer Keimzelle, die viele um dich herum ‚infiziert’. Die, die dir nicht folgen können, werden sich abwenden. Aber du wirst neue Menschen in dein Leben ziehen. Diejenigen, die auch schon auf dem Weg sind.

Wichtiger ist jedoch, dass du erkennst, dass das Einzige, worauf du wirklich Einfluss hast, du bist. Und dass es das Wichtigste überhaupt ist. Dich zu verändern meint nicht, dich innerhalb deiner bisherigen Geschichte zu verändern. Es bedeutet sich die Frage stellen ‚Wer bin ich, wirklich?‘ und zwar hinter den Geschichten, die du dir darüber erzählst und die dir erzählt wurden und werden. Meistens enthalten diese alten Geschichten einen Kern des Mangels. Sie erzählen, dass du erst dann in Ordnung bist, gut für andere da sein kannst, dich ausruhen darfst, wenn du … was auch immer geschafft hast. Geschichten des Mangels erzählen immer davon, dass du nicht in Ordnung bist, so wie du bist. Bisher hast du das geglaubt. Deine Eltern haben es dir erzählt, in der Schule wurde es dir gesagt, deine Peergroup hat es dir zugerufen. Irgendwann auf diesem Weg hast du begonnen es dir selbst zu erzählen. 

Als kleines Kind wusstest du noch, wer du wirklich bist. Du warst voller Freude darüber in der Welt zu sein. Alles hat dich begeistert. Der Käfer am Wegrand, die Pfütze, die so herrlich spritzte, wenn du hineinsprangst. Die Sonne auf der Haut, die Wärme der Katze, der Geruch, wenn deine Mutter etwas leckeres kochte. Und dein Körper. Du warst begeistert, als es dir gelang, ihn aufzurichten. Am Tisch stehen zu können. Der erste Schritt … . Du warst im Glück. Bei allem, was du tatest, erforschtest. Wann hat das bei dir aufgehört? Und womit hast du es ersetzt? 

Wahrscheinlich mit der Idee anderer darüber, was in dieser Welt wirklich wichtig sei. Je nach Familie oder Community ging es dabei darum, bestimmte Leistungen zu erbringen, gut auszusehen, ein ‚guter‘ Mensch zu sein, sich gut durchsetzen zu können, möglichst unsichtbar zu sein, immer hervorzustechen oder … . 

Meistens eine Kumulation verschiedener Ansprüche.

Liebe, Vergebung und Dankbarkeit waren weniger wichtige Ziele. Wenn doch, dann anderen gegenüber, mit dem Anspruch eigene Bedürfnisse erst gar nicht zu spüren und sie zu unterdrücken. Meist wurden sie auf caritative Bereiche beschränkt. Oder auf die Religionen. Dort, besonders in der Christlichen, ist der Gedanke der Aufopferung für andere ein Kernthema. Allerdings ein Kernthema, das innerhalb der alten Geschichte von Leistung und Konkurrenz gelebt wurde. Daher verwundert es nicht, dass Leistung und Konkurrenz zum heimlichen Lehrplan der Kirchen wurde. 

Liebe. In der alten Geschichte war die Liebe auf die romantische Liebe reduziert. Egal ob in der Gesellschaft oder der Kirche. Nonnen sind die „Bräute“ Christi. Tatsächlich ist Liebe die stärkste Kraft auf dieser Erde, in diesem Universum. Der Physiker und Kosmologe, Brian Swimme, schreibt in seinem Buch „Das Universum ist ein grüner Drache“, von der Anziehungskraft zwischen den Planeten, die reine Liebe ist. Dass jegliche Anziehung reine Liebe ist. Wir haben die Kraft der Liebe vergessen. Wir glauben, wenn wir in die kalte Welt da draußen gehen, wäre die Liebe uns nur hinderlich. Wir bräuchten solche Dinge wie Ellbogen, Durchsetzungsvermögen, besondere Skills und Methoden mit denen wir andere Menschen und Situationen einschätzen und so verändern können, wie wir es für vorteilhaft empfinden. Liebe, was ist dagegen schon Liebe? 

Liebe ist alles. Sie ist die Quelle, der Ursprung. Du bist Liebe. Du bist reine Liebe. Sie fließt durch dich und verbindet dich mit allem was ist. Du hast es vergessen auf dem Weg des erwachsen Werdens. Wie die meisten von uns, hast du ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr genügend Liebe erhalten. Stattdessen begannen deine Erwachsenen dich zu erziehen. Sie taten das nicht, um dich zu beschränken, sie taten es, weil sie zutiefst davon überzeugt waren, dass es das Beste für dich sei. Schließlich solltest du doch in der Gesellschaft ankommen. Dich behaupten können, die geforderte Leistung erbringen können. Du solltest ein „gutes“ Leben führen können – tja. Schließlich wurden sie auch so erzogen. Sie gaben nur weiter, was ihnen gesagt wurde. Die Hinduisten nennen es „Wheel of Samsara“, das Rad des Lebens, in das wir alle hinein geboren werden und das bestimmte Voreinstellungen hat, denen wir uns nicht entziehen können. Wir können es nur erkennen und heraustreten.
Da sind wir nun. Da bist du nun.

Klarheit. Wie bekommst du nun Klarheit? Klarheit kann nur durch Erkenntnis initiiert werden. Was sagt dir dein Herz? Wie möchtest du wirklich, wirklich leben? Möchtest du der Mensch sein, als der du gedacht bist? Als den du dich gedacht hast? Vor langer Zeit? Vor deiner Geburt? Vor deiner Zeugung? Du hast dich entschieden als Kind dieser beiden Erwachsenen die Welt zu betreten. Deine Seele hat ihre Seelen gewählt. Du wolltest zu genau dieser Zeit an genau diesem Ort sein. Sonst wärst du jetzt nicht hier.
Das war der Beginn, als alles noch klar war. Dann kam die Verwirrung. Betrachte dich und dein Leben. Spüre in dein Herz hinein. Höre, was es dir zu sagen hat. Und dann mache den ersten Schritt. Folge deinem Herzen. Spüre die Wahrheit, die wie ein leichter Nebelschleier durch dein Herz schwingt. Atme tief. Das bringt dich in die Gegenwart. Bewusstes Atmen und Angst schließen sich aus. Vielleicht merkst du, das Lächeln, das in dir aufsteigt und auf deinem Gesicht seinen Ausdruck findet. Das ist Glück. Und Freude. In diesem Moment hast du Klarheit. Über dich, deinen nächsten Schritt, letztlich über die Welt. Lass dies den Ort sein, von dem aus du startest und denke daran: Kein Weg verläuft gerade. Unser Lebensweg ist ein Labyrinth. Ein Weg, der dich führt. Nie verlässt du den Weg zur Mitte, auch wenn es sich manchmal so anfühlt, als seist du weiter von der Mitte entfernt, als zu Beginn deiner Reise. Besuche ein Labyrinth, begehe es und spüre die Kraft, die darin liegt.

Zeitenwende

Seperation/Interbeing

Auszug aus: Charles Eisenstein, „Die schönere Welt, die unser Herz kennt, ist möglich“

„Wer bin ich?“ (…) „Die Mystiker haben uns seit vielen tausend Jahren eine Antwort angeboten – zwei Antworten. Einerseits, streifen Sie alles ab, was Sie mit dieser Welt verbindet, Ihr Geld, Ihre Beziehungen, Ihre Arme und Beine, Ihre Sprache, und noch immer ist etwas übrig, das „Sie“ sind. Ich bin nicht dies. Ich bin nicht das. Etwas minus alles ist nichts; daher die erste Antwort: Sie sind nichts. Wenn wir uns jedoch darauf einlassen, erkennen wir, dass nichts nicht nichts ist; es ist alles: Alle Dinge entspringen aus der Leere, und ein Fleckchen Quantenvakuum hat  die Energie einer Milliarde Sonnen.

Daher also die zweite Antwort: Sie sind alles. Nehmen Sie selbst die kleinste Beziehung weg, und auch Sie sind verkleinert; fügen Sie eine hinzu, und Sie sind größer; verändern Sie irgendein Wesen im Kosmos, und auch Sie werden verändert. Sie sind daher alles: ein Netz aus Beziehungen, von denen jede alle anderen umfasst.

Das ist das Selbst des Interbeing. Der „Situation“ entkleidet, ist Ihre Aufmerksamkeit meine Aufmerksamkeit, ist jedermanns Aufmerksamkeit. Wir sind dasselbe Wesen, das durch verschiedene Augen auf die Welt blickt. Und diese „Augen“, diese Blickwinkel, sind alle einzigartig. Wie es der Komiker Sami Beyondananda sagt: „Sie sind ein völlig einzigartiges Wesen – genau wie jeder andere!“

Mehr werde ich nicht über die Natur des Seins sagen. Je mehr ich sage, desto weniger wahr wird es. Außerdem, wer bin ich, zu wissen, was „Sie“ sind? Also sagen wir einfach, dass das separate Selbst, als das wir in den vergangenen paar Jahrhunderten in verschiedenen Erscheinungsformen lebten, eine von vielen möglichen Geschichten vom Selbst ist.

Wer sind Sie? Es ist keine objektive Frage, welche Geschichte und welches Selbst für Sie real ist. Keine noch so große Menge an Beweisen wird sie je beantworten; nicht nur das, es gibt nicht einmal eine objektive Faktenlage. Gleichwohl gibt es das, was wahr ist. Merken Sie, wie sich die Wahrheit darüber, wer Sie sind, verändert? Wissen Sie, dass Sie immer weniger das Selbst der Separation sind?

Jenes separate Selbst, das sich fürchtet, zu schenken, fürchtet, zu dienen, jenes Opfer unpersönlicher Kräfte ohne Einfluss auf die feindliche Welt dort draußen ist genau das Selbst, das Beweise dafür sucht, dass es nicht dieses Selbst ist. Ich kann Ihnen das nicht beweisen, ich kann nicht beweisen, dass die Geschichte des Interbeing wahr ist, so wie in der Politik oder oft sogar in der Wissenschaft keine Seite der anderen beweisen kann, dass sie recht hat. Sich auf sichere Beweise zu verlassen ist Teil der alten Geschichte, zu der das gehört, was wir Objektivität nennen. Sie werden sich entscheiden müssen, und Sie können sich nicht länger mit der Suche nach Beweisen vor dieser Entscheidung drücken. Das gilt für jede Frage, vor der Sie stehen. Welche Ansicht ist wahr? Umso mehr gilt das für die Frage: „Wer bin ich?“

Höre ich immer noch den Zyniker, den betrogenen, sagen: „Was passiert, wenn ich mich entscheide, das Selbst des Interbeing zu sein und daher in einer Welt-Geschichte zu leben, in der Heilung möglich ist, aber mich nur selbst damit täusche?“ Diese Frage, das erkennen Sie vielleicht, ist von der gleichen Energie getragen wie: „Werden wir es schaffen?“ Es ist das wehleidige Geheule des separaten Selbst. „Was, wenn ich allein bin? Was, wenn ich schenke und diene, aber kein anderer in dieser feindlichen Welt gibt mir etwas zurück und sorgt sich um mich?“ Die Schlussfolgerung: “Ich gehe besser auf Nummer sicher. Ich sollte mich lieber um meine eigenen Interessen kümmern und zusehen, dass ich für mich die größtmögliche Sicherheit habe.“ Jetzt addieren Sie Milliarden von Menschen zusammen, die alle das Gleiche denken und danach handeln, und Sie sehen, dass es an unserer kollektiven Verstrickung in diese Geschichte liegt, dass wir ihr Abbild und ihre Bestätigung in der Welt um uns herum geschaffen haben. Wir haben den Beweis selbst verursacht, den wir dann in das Fundament unserer Geschichte als eine Rechtfertigung für sie einbauen.

Entscheiden Sie sich, in einer neuen Geschichte zu leben, und Sie werden eine ähnliche, sich selbst bestätigende, positive Rückkopplungsschleife erleben. Sie werden in eine andere Welt mit anderen Gesetzen übergewechselt sein. Ich bekomme die ganze Zeit Briefe, in deine Dinge stehen wie: “Ich habe mein ganzes Geld hergegeben und kann kaum glauben, welche Magie sich in meinem Leben entfaltet hat.“ Manchmal raten New-Age-Lehrer, die von solchen Geschichten wissen oder an sich selbst die Ergebnisse der Befreiung aus der Mangelprogrammierung erlebt haben, dass die Menschen ihre Ansichten rund ums Geld ändern sollen. Leichter gesagt als getan, wenn diese Ansichten Teil eines viel größeren Mosaiks sind, eines Integralen Musters, in dessen Zentrum die Frage steht: „Wer bin ich?“ Nur wenn sich das verändert, können sich die mit ihm in Zusammenhang stehenden Ansichten ändern und es in ein neues und schöneres Muster auflösen. Solange sich allerdings „wer ich bin“ nicht geändert hat, wird es alle übrigen Überzeugungen wieder in Übereinstimmung mit sich selbst und mit der Separation bringen, wie sehr Sie sich auch immer bemühen, „Negativität“ zu vermeiden. Negativität ist fixer Bestandteil unserer grundlegenden Mythologie von Selbst und Welt.

Schlussendlich wird es, wenn man sich nicht zumindest teilweise auf die Geschichte des Interbeing eingelassen hast, nicht möglich sein, isolierte abgeleitete Ansichten zu verändern, und man wird auch nie etwas anderes als immer nur das Abbild der Separation in der Welt hervorbringen. Nichts, was Sie tun, wird wirklich von Nutzen sein. Selbst wenn Sie gegen den Eigennutz kämpfen, um ein „guter Mensch“ zu sein, dienen Sie immer noch dem Ziel, (sich selbst older anderen) als ein guter Mensch zu erscheinen, statt tatsächlich anderen Menschen und der Welt zu dienen. Also hören Sie auf, zu versuchen, ein guter Mensch zu sein. Entscheiden Sie sich stattdessen, der oder die zu sein, die Sie sind. Was Sie dann davon ausgehend schaffen, wird ein viel größerer Dienst sein als alles, was Sie aus verdeckter Eitelkeit erreichen. Außerdem ist das halb bewusste Konzept, „gut zu sein“, hoffnungslos mit den Mechanismen sozialer Konformität und bürgerlicher Moral verstrickt, die dazu dienen, den Status quo aufrechtzuerhalten. Das hält uns davon ab, die kühnen Taten zu setzen welche die alte Geschichte unterbrechen. In dieser Hinsicht könnten wir sogar etwas von den Psychopathen lernen.

Trauma und transgenerationale Übertragung

Heilung

Schweißgebadet erwacht … voller Angst … ich habe es gestern verkackt … es dockt an meine frühe Grundschulzeit an … damals war ich so oft in dem Gefühl nicht richtig zu sein. Nicht richtig in der Welt. Ein unbestimmtes Gefühl hier vollkommen falsch zu sein, nicht hierher zu gehören. Heute weiß ich, dass viele früh traumatisierte Menschen dieses Gefühl des „Falsch-Seins“ kennen.

Sie haben mich in Stufen gebrochen. 
Zuerst der 4-Stunden-Rhythmus im Hebammenhaus, direkt nach der Geburt. Nach jedem Stillen wieder weit weg von meiner Mutter in einem harten, unbeweglichen Bett, mit kratzigem an der Haut, wo ich doch eigentlich die Haut meiner Mutter spüren sollte. Meine Haut, die bis eben noch nicht wirklich vorhanden war. Die ein Teil des Kind-Mutter-Körpers, des Nichtgetrennten, der Einheit war … keine Grenze, keine Identität, nur ein gemeinsamer Atem, ein Puls, ein Herzschlag. Sie war ich, ich sie. Nun ist sie weg. Ich weine mir das Herz und die Seele aus dem Leib. Doch niemand kommt. Kein Erbarmen. Dann war ich still. Alle geben irgendwann auf. 

Heute wissen wir, dass Kinder schon im Mutterleib ein Bewusstsein für sich und ihre Umgebung haben. Ebenso Erinnerungen. Danach gefragt, können Vor- und Grundschulkinder von Erlebnissen vor ihrer Geburt, der Geburt selbst und aus der Zeit vor ihrer Sprachentwicklung berichten. 

Mit 4 Jahren musste ich erstmals zum Zahnarzt. Er war der sprichwörtliche Sadist. Kinder gab es in seiner Welt nicht. Er war grob. Tat mir weh. Verletzte mich im Mund. Mit seinen Fingern, seinen Instrumenten. Nach den Arztbesuchen hatte ich Risse in den Mundwinkeln, oft blutete mein Zahnfleisch. Ich wehrte mich. Auf meine kleine, kindlich Weise. Ich fing zu Hause an zu weinen, zu schreien. Ich schrie bis ich auf seinem Stuhl saß. Einmal biß ich ihn, als er mir weh tat, das machte es in der Folge nicht besser. Mit 6 Jahren war einer meiner Zähne vereitert. Er zog ihn. Trotzdem. Dann war ich krank. Sehr lange und ausführlich. Der Eiter war in mein Blut gelangt. Meine Leukozyten schossen ins Unermessliche. Sie hatten Angst, dass ich eine Leukämie entwickele. Ich war 6 Jahre, konnte nicht mehr zur Schule gehen. Die ersten zwei Jahre danach musste ich wöchentlich zum Arzt, mein Finger wurde angestochen, Blut in eine Röhre gesaugt und die Werte überprüft. Ich hatte Angst davor, habe es gehasst, gefürchtet. Doch das war nicht alles, was den Ärzten einfiel …
Die Krankheit hatte mich Kraft gekostet. Ich war sehr schmal, bleich und durchscheinender als früher. Der eigentlich nette Hausarzt kam auf die vernichtende Idee mich „in die Kur zu schicken“. 

Heute kennt das niemand mehr. Es war eine in den 50er bis in die 80er Jahre praktizierte Methode. Kinder wurden alleine, ohne Eltern, mit der Bahn zu weit entlegenen Häusern geschickt. Dort waren sie dem Wohl und Wehe der Menschen, die dort arbeiteten ausgeliefert. Wer sich mit diesem dunklen und vielen unbekannten Teil unserer jüngeren Geschichte beschäftigen möchte, findet unter den Stichworten „Verschickungskinder“ oder „Kinderheime“ seit 2019 informative Seiten im Netz. Viele Kinder erlitten emotionale, körperliche und sexuelle Gewalt. In manchen Häusern wurden Medikamentenversuche durchgeführt. Sie wurden teilweise gefoltert (Ja. Gefoltert!), es wurde versucht sie bewusst und mit Absicht zu brechen. Es verwundert dann kaum noch, zu lesen, dass einige der Ärzte, die die Häuser führten,  Berühmtheiten mit Nazi-Vergangenheit waren.
Ich landete in Berchtesgaden. Im Unterschied zu anderen, kann ich mich gut an die Zeit erinnern. Es war schrecklich. Ich erlebte, wie ich und andere, um mich herum, körperlich und seelisch misshandelt wurden. Die „Kur“ dauerte sechs Wochen. Gegen Ende brachen die Röteln aus. Am vorletzten Tag traf es mich. Sie sagten mir, wenn ich am nächsten Tag nicht gesund sei, müsse ich weitere sechs Wochen bleiben. Es gäbe nur alle sechs Wochen einen Zug … Ich war am nächsten Tag gesund. Kaum zu Hause breiteten sich die roten Flecken wieder über meinen gesamten Körper aus. Und ja, ich war danach eine andere. Ich aß nicht mehr, was ich vorher gemocht hatte. Ich hatte das unbewusste Gefühl nicht in Ordnung zu sein. Nicht richtig zu sein. Mein Selbstbewusstsein hatte großen Schaden erlitten. Ich fühlte mich alleine. Verlassen. Es fiel mir schwer offen für mich einzustehen. Ich entwickelte soziale Ängste. “Autoritäten“ schreckten mich. Ein Teil von mir war in den Untergrund gegangen und es dauerte lange bis er ans Licht zurück fand. 

Und nun zeigt sich das alles nochmals. Was war dem vorausgegangen? Am Anfang war ein Arzttermin, der für mich sehr wichtig war. Wichtiger, als ich zu dem Zeitpunkt ermaß und bei dem ich verschiedenes falsch verstand. Dazu kam ein Telefonat mit einer Freundin, die davon sprach, dass gerade Ungeheiltes wieder an die Oberfläche kommt, sich nochmals zeigt, um dann zu gehen. Eigentlich ging es dabei um die alte deutsche Angst vor „dem Russen“, die jetzt bei Menschen, die den zweiten Weltkrieg erlebten, aber auch bei jüngeren, die transgenerational davon betroffen sind, wieder auftaucht. Zu diesen beiden Elementen gesellte sich ein Lied. „Nein, meine Söhne geb ich nicht“, von Reinhard Mey und Freunden. Es kam ganz unerwartet zu mir und ich hörte es wieder und wieder, während mir die Tränen übers Gesicht liefen. Die Stimmen der Männer und Frauen, die für ihre Kinder einstanden, sich als Eltern zwischen ihre Kinder und die Willkür von Staat und Behörden stellten, brachte etwas in mir in Fluss. In mehrere Richtungen. Hin zu meinem Sohn und tief in mein Inneres. Etwas wurde weich, löste sich auf, wollte und will gehen. In der Tiefe heilen. Einen Platz in meiner Erinnerung einnehmen, der ruhig, heilsam und haltend ist. Aber noch war es nicht so weit. Das Adjuvans fehlte noch. Das kam, als mein Arzt am späten Nachmittag anrief: Ich hatte den sehr wichtigen Termin verpasst und wusste in dem Moment nicht, ob ich einen weiteren bekommen könnte. Es fuhr mir in den Magen. Mir war übel und zum heulen zumute. So hatte ich mich schon sehr lange nicht mehr gefühlt. Dieser Schreck rauhte alle Verkrustungen auf, die noch über den alten traumatischen Erfahrungen lagen, öffnete sie, um die abschließende Heilung einzuleiten.

Ja, da bin ich nun. Gebrochen und nun heil(end). Mit Erinnerungen, die ihren Platz gefunden haben im Kaleidoskop des Lebens. Die letzten Tage waren schrecklich schön. Da ist noch ein Rest Wehmut über die lange Zeit der Heilung. Aber auch ein Wissen, dass unsere Erfahrungen uns zu der machen, die wir sind. „There is a crack in everything“, wie Leonard Cohen sang. „That‘s how the light gets in“.
Zeitenwende

Neubeginn

Heute haben wir Neumond. Zeit für einen Neubeginn. Zeit nach vorne zu schauen und loszugehen.

Zeit, dass wir unser Opfer-Sein beenden. Keine weiteren Videos schauen, die, in einem anderen Kleid, uns wieder und wieder zeigen wie böse die Welt da draußen ist, wie ungerecht und welche bösen Menschen all das geplant und gewollt haben. 

Es wird Zeit zu erkennen, dass wir und nur wir, unser Leben gestalten. Dazu ist es wichtig die inneren Strategien zu erkunden, unsere tief eingeschliffenen Muster zu erkennen und uns einzugestehen, dass wir oft nur eines wollen, nämlich Kontrolle.

Und genau die, gilt es loszulassen. 

Das haben wir doch schon so oft gehört: Lass es los! Ja prima. Gute Idee. Aber wie, bitteschön, geht das? Wie lasse ich etwas los, das mir so vertraut ist, wie meine Haut, meine Haare, mein Gesicht? Wie lasse ich los, was mir so gute Dienste geleistet hat? Als Kind hat es mir das Überleben gesichert. Immer wenn meine Kontrolle größer wurde, wurde ich geliebt: Wenn ich Dinge gezielt greifen konnte, als ich nicht mehr in die Hosen machte, wenn ich kluge Sprüche von mir gab, von denen ich wusste, dass meine Erwachsenen sie bejahen. Wenn ich ruhig sitzen konnte und nur dann sprach, wenn es erlaubt war – eben nicht während des Unterrichts! Geliebt wurde ich meist nur, wenn ich meine Bedürfnisse zu Gunsten der Bedürfnisse oder der jeweiligen Wertvorstellungen anderer oder der Gesellschaft aufgab. 

Und ja, wir alle haben Bedürfnisse aufgegeben. Wir haben sie ersetzt durch fremde Ideen wie wir sein und uns verhalten sollen. Das kleine Mädchen, der kleine Junge, die wir mal waren, haben sich selbst gebogen und geformt und ausgerichtet, nach den Prinzipien, die Liebe und Nähe und Verbindung versprachen.

Wie können wir diese Prinzipien loslassen? Das funktioniert nur über Bewusstwerdung. Sprich, um eingefahrene Muster zu verlassen, müssen wir zuerst erkennen, dass wir sie haben. Das geschieht über Beobachtung unseres Verhaltens und anfangs oft nur im Nachhinein. Hinweise darauf, dass ich in meinen Strategien gehandelt habe, geben mir zum Beispiel meine Gefühle. Sind sie angemessen? Oder passen sie nicht zur aktuellen Situation? Beschäftigt mich eine Situation noch, nachdem sie schon längst vorüber ist? 

Immer dann, wenn ich ein ungutes Gefühl spüre, treffen in meinem Inneren zwei Werte aufeinander. Ich treffe zum Beispiel jemanden und fühle mich unsicher. Da stehen sich innere Anteile von gemocht werden und mein ursprüngliches Bedürfnis, einfach ich zu sein, gegenüber. In der unbewussten Kontrolle wird sich vielleicht mein Atem verändern, mein Muskeltonus, mein Stoffwechsel, etc.
Spüre ich meinen Körper, können solche Veränderungen ein guter Einstieg sein. Ich nehme wahr und gebe dem Körpergefühl in mir Raum. Oder ich nehme auch auf der kognitiven Ebene wahr und erkenne die inneren Erwartungen. Vielleicht fällt mir sogar eine dahinter stehende Situation ein. Dieses Wahrnehmen bringt mich an einen Punkt der Nicht-Reaktion und damit aus dem Muster heraus. Dies ist der Platz, um Entscheidungen zu treffen. Wie möchte ich mich verhalten? In welche Strategie gehe ich? Mache ich mich weiter klein? Oder zeige ich wie toll, wie taff oder was für ein Überflieger ich bin, wie ich funkeln und strahlen kann? Oder wie mitfühlend und empathisch ich doch bin? All das gehört zu den Schubladen, die wir uns im Laufe unseres Lebens geschaffen haben, um die Kontrolle zu behalten und uns sicher zu fühlen.

Oder wage ich etwas ganz neues und zeige mich genauso, wie ich jetzt bin? Vielleicht spreche ich aus, wie ich mich fühle. Oder welche Erwartungen ich innerlich an mich, oder auch an mein Gegenüber habe. Das bedeutet loslassen. Es ist nichts Großes. Es sind die vielen kleinen Entscheidungen, die ich tagtäglich treffe.

Die Frage ist, will ich weiter in Strategien leben oder will ich mein Leben wagen? 

Aus dem Loslassen entsteht Raum. Raum für Lebendigkeit, für neue Erfahrungen. Raum, den ich benötige, damit meine Ängste sich zeigen können. Raum, um eine innere Ruhe zu erleben, die es mir möglich macht, ein, zwei Schritte zurück zu treten und mich umzuschauen. Und natürlich auch Raum, um zu erfahren, was ich denn möchte. Was sind meine Bedürfnisse, genau jetzt in diesem Moment? Was hält mich davon ab sie zu äußern, zu leben? 

Dann zeigt sich unser Weg. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass jeder und jede von uns weiß, wie wir sein und leben möchten. Welche Werte wir verkörpern möchten, welchem Stern wir folgen möchten. Die Hinduisten nennen es Dharma. Die göttliche, unveränderliche Ordnung, die sich in unserem individuellen Lebensweg widerspiegelt. Und sie sagen, es sei ein Zeichen, dass wir auf dem Weg unseres Dharma sind, wenn es sich ein wenig riskant anfühle. 

Unser Leben liegt nicht in der Sicherheit. Es liegt in der Freiheit unserem Herzen zu folgen. Das ins Leben zu bringen, was nur wir in die Welt bringen können. Dann lassen wir unser Licht strahlen und nehmen den Platz ein, der unser Platz ist. Und dies kann nicht geschehen, wenn wir kontrollieren wollen. Kontrolle ist das Gegenteil von Vertrauen. Dem Vertrauen, dass wir alles was kommt, wirklich alles, werden händeln können. 

Welchen Weg wählen wir? Welchen Neubeginn wollen wir? Im Moment ist eine gute Zeit für einen neuen Start. Aber wir müssen uns dafür entscheiden. Die Dinge einfach laufen zu lassen, unser Opfer-Sein zu kultivieren, kostet Kraft. Wir entscheiden, was wir nähren. Nähren wir die alte Wunde oder setzen wir uns für neue Werte, für Kontakt aus dem Herzen, für liebende Beziehungen und eine Welt mit wenig Kontrolle ein? Wie möchten wir leben? Wie sollen unsere Kinder und Enkel aufwachsen?
Oder wie meine Freundin Claudia zu sagen pflegte “Entscheide dich oder für dich wird entschieden!“.

Ich - Du - Wir

Vai. E, se der medo, vai com medo mesmo. 
Gehe. Und wenn du Angst hast, gehe in Angst.

Brasilien
poem

Kann mir einer sagen, wohin
ich mit meinem Leben reiche?
Ob ich nicht noch im Sturme streiche
und als Welle wohne im Teiche,
und ob ich nicht selbst noch die blasse, bleiche
frühlingsfrierende Birke bin?

Rainer Maria Rilke
Mother nature
Zeitenwende

Die Engel der Veränderung ziehen über das Land 

Ein Lied aus der Nacht

Eine fast schlaflose Nacht. Unser Austausch in der Tempelgruppe gestern. Der Schock sitzt tief in meinen Eingeweiden. Wo sollte er auch sonst sitzen, außer dort, wo ich eingeweiht bin. Mich selbst eingeweiht habe. In zwei langen Jahren. Zwei Jahre sind es schon. Zwei Jahre voller Hoffen und Bangen. Zwei Jahre, in denen die Engel der Veränderung über die Erde ziehen. Zwei Jahre des erzwungenen intensiven Lernens. Zwei Jahre tiefer Einblicke in Bereiche, von denen ich nicht wusste, dass sie existieren. Und es eigentlich auch nicht wissen wollte. Zwei Jahre Ent-Täuschung. Enttäuschung, die tiefer geht und größer ist, als ich es mir je hätte vorstellen können. Zwei Jahre, in denen ich neue Informationen aufnahm, prüfte, wieder verwarf, die Essenz daraus eliminierte, mich vertraut machte, in die Welt hinaus rief, zum Schweigen gebracht wurde, neue Wege suchte,  mich selbst zum Schweigen brachte, mitnehmen wollte, gegen Mauern rannte, in Dornengebüsch fiel, mir Hände und Gesicht zerkratzte …

… Freunde verlor … 

… zuerst nur in der inneren Wahrnehmung, der ich nicht glauben wollte, in die ich mich flüchtete, wieder verstieß, mich daran festhielt, heulend, schreiend, nicht fühlen, nicht spüren, nicht seien wollend. Um dann aufzugeben. Nachzulassen. Mich auf meinen Knien wiederfindend. Gewaschen, gespült, geschleudert. 

Ausgewrungen.

Wer bin ich? Nicht mehr die, die ich mal war. 

Das gehört so. Das ist normal. Change is a constant process, stability is an illusion. Seit 20 Jahren begleitet mich dieser Ausspruch von Insoo Kim Berg. Nie erschien er mir so wahr wie in dieser Zeit der Wirrungen und Weigerungen. Der unglaublichen Auswirkungen. 

Die Engel der Veränderung ziehen über das Land. 

Die Kluft ist so groß. Ich kann sie nicht mehr überbrücken. Ich sehe sie und inzwischen achte ich sie. Ist sie doch nicht nur Ausdruck unseres Auseinanderdriftens, sondern auch tiefe Achtung für meinen bisherigen Weg. Ihr geht eueren Weg, ich meinen. Haben wir diese Wege gewählt? Eine Frage, die ich nicht beantworten kann; oder möchte ich es nicht? 

Du stehst dort drüben, ich hier. Du wirkst klein, so weit von mir entfernt. Mein Herz ist warm und offen. Meine Liebe begleitet dich auf deinem Weg. Ich akzeptiere, dass es für dich die gleiche Anstrengung wäre diese tiefe Schlucht zu überwinden, wie für mich. 

Ich akzeptiere, dass die Schlucht, hier, an dieser Stelle, nicht überwunden werden kann. 

Ich ehre die Schlucht zwischen uns. 

Ich verbeuge mich tief. 

Dezember 2021