… eine Hypothese …
Wir neigen dazu die Ursachen für Probleme bei uns zu suchen. So, als existierten wir im luftleeren Raum. Oder wir schreiben sie anderen zu und sehen unseren Anteil nicht.
Dazu kommt, dass wir, haben wir erst mal ein „Problem“ ausgemacht, dieses sofort verändern möchten. Probleme erleben wir als Fehler des Lebens, die korrigiert werden müssen. Und schon suchen wir eine Lösung.
Beides ist Teil eines Mechanismus unseres kleinen Verstandes, der uns das Gefühl gibt, Kontrolle über unser Leben zu haben.
Wir alle haben in der Kindheit Kontrollverluste erlebt. Damals hat es uns hilflos gemacht, bis hin zur Bedrohung unserer Existenz. Gefühle, die wir nicht wieder erleben möchten. Die uns so erschreckt haben, dass wir heute nicht einmal die Ahnung eines Kontrollverlustes haben möchten, so wir ihn nicht selbst herbeigeführt haben und uns dadurch die Illusion von Kontrolle zu bewahren suchten. Die meisten von uns haben Bereiche, in denen sie weniger Kontrolle brauchen und solche mit hoher Kontrolle.
Die aktuelle Situation bringt, je nach der Art, wie wir leben, mehr oder weniger starke Kontrollverluste mit sich. Habe ich mich bisher über das Leben im Außen (Theater, Konzerte, Sportveranstaltungen etc.) oder meine Rolle in der Gemeinschaft definiert, werde ich wahrscheinlich mehr auf mich zurück geworfen, als ein eher introvertierter Mensch, der seinen Wunsch nach Gemeinschaft weiterhin beruflich leben kann. War ich bisher eher außenorientiert, werde ich mich auch jetzt mehr daran orientieren, was meine Mitmenschen sagen oder vielleicht auch nur denken könnten. Es sieht so aus, als hätten es die Menschen leichter, die schon bisher gut zu ihrer Wahrheit stehen konnten und dies als stabiles Rückgrat ihrer Welt erlebten.
Ich möchte damit nicht sagen, dass sich hier die beiden Seiten der so oft beschworenen Spaltung der Gesellschaft zeigen. Es geht mir vielmehr um Tendenzen im Innen wie im Außen und darum, erkennen zu können, wo ich in Glaubenssätzen feststecke, die mir nicht bewusst sind. Nur über Bewusstheit kann ich einen Punkt erreichen, an dem ich eine Entscheidung treffen kann. Ohne diese bewusste Entscheidung rutsche ich in alte Muster, einfach weil sie mir sehr vertraut sind.
Je mehr Kontrollverlust ich verspüre, desto unangenehmer ist mir die Situation und ich möchte eine Veränderung herbeiführen. Ich habe also ein Problem definiert und möchte jetzt schnellstmöglich zu einer Lösung kommen, weil ich annehme, mich dann wieder besser zu fühlen. Dem liegt die Bewertung zugrunde, dass es gute und schlechte Gefühle gäbe, die Guten zu suchen und die Schlechten zu vermeiden seien. Das könnte man als kulturelle Annahme oder Voreinstellung formulieren. Ganz waghalsig könnten wir eine Perspektive einnehmen, die sich jenseits dieser Annahme befindet. Zum Beispiel „Es gibt keine guten und schlechten Gefühle. Alle Gefühle können uns etwas über uns erzählen.“
Nun haben wir eine Basis, auf der wir jegliche Gefühle ohne Bewertung betrachten können. Angenommen, wir wären fähig alles was auftaucht mit einer offenen und freundlichen Neugier zu betrachten, dann wäre es nicht nötig etwas ändern zu wollen. Es ginge vielmehr darum, mit dem, was da ist, in Kontakt zu kommen. Also – wenn wir die Falle der Bewertung verlassen, beenden wir den Krieg, der in uns läuft. Den Krieg, bestimmte Aspekte in mir abzuwerten und sie los werden zu wollen. Stattdessen gehe ich in mich, erkunde was da ist, nehme es freundlich wahr und bringe ihm Neugier entgegen. Mehr nicht. Kein Wunsch zu verändern. Kein Wunsch nach einer Lösung. Mit dieser Haltung sage ich mir, meinem System, alles ist in Ordnung, so wie es ist. Friede.
Und Verantwortung. Meine Bewertung im Innen ist automatisch mit einer Bewertung im Außen verbunden. Alles was ich in mir nicht wahrnehmen, nicht haben möchte, also alle, als „schlecht“ gekennzeichneten Gefühle, projiziere ich auf ein geeignetes Außen. Dort kann ich sie dann verurteilen, abwerten, was auch immer. Und dann suche ich nach einer „Lösung“ dafür. Alles da draußen!
Lasse ich die Spaltung in mir nicht zu, übernehme ich Verantwortung für alle meine Gefühle. Es ist nicht mehr nötig sie nach draußen zu projizieren, um sie dort abzuwerten.
Die Spaltung im Außen ist demnach also die Projektion einer inneren Spaltung. Zumindest, wenn wir bereit sind, unter die Oberfläche zu schauen. Dann können wir unseren Teil der Verantwortung übernehmen und in uns lösen, statt andere für ihr Handeln oder eben auch Nicht-Handeln, abzulehnen. Wir können dann auch aufhören darauf zu warten, dass irgendwer oder irgendwas uns rettet. Wir tun was wir können und wollen. Außerdem erkennen wir die Idee, die Welt (oder zumindest unseren kleinen Teil davon) retten zu wollen, als Teil des Dramas (oder wie in Matrix, als Teil des Programms).
Also: Mach dich nicht so groß, so klein bist du gar nicht. Oder: Mach dich nicht so klein, denn so groß bist du gar nicht.
Die Spaltung innerhalb der Gesellschaft ist Ausdruck unserer inneren Trennung. Der Trennung von Körper, Verstand und Seele. Die Überbetonung des Verstandes spiegelt sich in der Überbewertung der Wissenschaft. Der normale Mensch wird zum Körper, der Wissenschaftler zum Verstand. Die Seele ist in unserer Gesellschaft nebensächlich, wurden jegliche Rechte an ihr doch schon mit Beginn der Neuzeit der Kirche überantwortet.
Der Körper wird behandelt, wie der Verstand es entscheidet. Ohne Mitspracherecht. Es herrscht keine gleichberechtigte Beziehung, sondern eine Hierarchie oder politisch, eine totalitäre Diktatur.
Könnte die Seele ihren Platz im Menschen, in der Gesellschaft einnehmen, wäre ein grundsätzliches natürliches Gleichgewicht vorhanden.
Während der gesamten Zeit des Patriarchats (also seit circa 5000 Jahren), haben wir mehr und mehr verlernt der Intelligenz unseres Körpers zu vertrauen. Wir sind von unserer Intuition abgerückt, haben sie teilweise verleugnet und dem kleinen Verstand immer mehr überlassen (aufgebürdet?). Wie ein Kind, das die Elternrolle übernimmt, war und ist er massiv überfordert. Allerdings nicht, ohne Strategien zu entwickeln, die diese Überforderung verschleiern und stattdessen seine Fähigkeiten herausstellen sollen. In diese Strategien wurden wir hinein geboren. Unsere Eltern vermittelten sie uns, weil sie sie lebten. Sie sind uns so vertraut, dass wir sie als Teil von uns wahrnehmen. Die Hindus bezeichnen es als das Rad des Samsara. Der ewige Zyklus von Geburt, Tod und Wiedergeburt, der nur durch Bewusstheit des Karma und ein Leben entsprechend dem eigenen Dharma überwunden werden kann. Solche Strategien sind zum Beispiel innere Abwertung oder Überhöhung. Die Positionen sich kleiner oder größer zu machen, spalten Anteile ab und untergraben unsere Lebendigkeit. Denn lebendig sind wir nur, wenn wir außerhalb von vorgefertigten Ideen und Mustern auf Situationen reagieren können. Gefangen in den Strategien leben wir ein kleines Leben, das auf Sicherheit ausgerichtet ist und sich vor Freiheit fürchtet.
Die Spaltung ist also schon recht alt. Durch ihre aktuelle Betonung haben wir jedoch die Chance sie zu erkennen.
Wenn diese Annahme stimmt, wäre es wichtig unsere Aufmerksamkeit etwas von der Welt draußen weg, hin zu unserer inneren Welt zu richten. Und dort nichts mehr als selbstverständlich zu nehmen, sondern unsere Impulse auf ihre Liebes- und Beziehungstauglichkeit zu überprüfen. Dann sind wir dort angelangt, wo wir wahrhaftig Veränderung leben können – bei uns.
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