Wir brauchen nicht viel. Fast gar nichts. Alles ist in uns. Wir wurden mit allem ausgestattet geboren. Und nichts ging verloren. Manches wurde weggedrückt, anderes hat sich versteckt. Teilweise konnte sich Zusammengehörendes noch nicht finden, weil da keine Entwicklung war. In uns wartet ein Schatz darauf, ins Bewusstsein zu kommen. Wieso klingt das so neu? Nun, es ist in uns. Es ist wir. Also wissen wir davon. Dass es uns so schwer fällt dazu bewusst zu werden, liegt an unserem Denken.
Im Laufe unserer Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen wurden wir kompromittiert. Dies geschah über die Menschen um uns, die es meist in bester Absicht taten. Die Sozialisation griff. Wir lernten uns von unserem Körper zurückzuziehen. Von unserem Kopf – von da oben – sahen und sehen wir auf den Körper herab. Wir glaubten dort die animalische Natur unseres Wesens zu erkennen und waren sicher sie überwinden zu müssen, um … . Je nach Ansatz ging es bei diesem „um …“, um intellektuelle Vergeistigung, oder wir vermuteten Gott irgendwo da oben und wollten ihm näher sein. Egal was unsere Begründung war, immer mussten wir den Körper abwerten. In ihm vermuteten wir Triebe, Gefühle, Leidenschaften, unsere wilde ungezähmte Natur. Er machte uns verletzlich, dort waren die Schmerzen zu Hause. Die physischen, aber vor allem die emotionalen. Wir glaubten durch unseren Rückzug in den Verstand so viel zu gewinnen und verloren dabei uns und unsere Menschlichkeit. Wir verloren unsere Empathie und unsere Liebesfähigkeit. Weil wir dem Schmerz auswichen, konnten wir auch die Schmerzen anderer nicht mehr nachempfinden. Wir waren nicht mehr berührbar. Wir zerstörten die Welt um uns. Wir machten sie uns untertan. Grausam und als Folterknechte. Und ohne Erbarmen. Gefühle ersetzten wir durch Drama. Liebe durch Romantik, die Tiere, denen wir jeglichen Lebensraum versagten stellen wir uns als lächelnde Plastikversionen an die Haustür. Das beschwichtigt diese bohrende Sehnsucht in uns kurz.
Wir haben uns die Welt aus Plastik neu erschaffen und leiden ohne Leidenschaft. Statt auf Lebendigkeit setzen wir auf Sicherheit. Wir fühlen keinen Schmerz mehr, aber auch keine Freude. Dafür schmerzt unser Körper, missbraucht durch zu viel Essen, zu wenig Essen, zu wenig Bewegung, zu viel Bewegung. Wir muten ihm zu, was wir denken was gut sei. Wir spüren seine wahren Bedürfnisse nicht mehr. Auch wenn er immer wieder anklopft, wir hören nicht hin. Unser Denken hat die Kontrolle übernommen und denkt sich aus, was alles für uns gut sei. Vollkommen vom pulsierenden Leben in unseren Adern abgeschnitten. Ohne Kontakt zur Natur, den Elementen, weist es jede Verbindung zurück. Unser Denken ist sich selbst genug.
Solange wir nicht bereit sind diese elementaren Wahrheiten anzuerkennen, werden wir dem Plastikwahn nicht entkommen. Wir sehnen uns nach menschlicher Nähe und Zuwendung. Nach der Berührung warmer Haut. Nach Augen, die uns in Liebe ansehen. Nach Lachen und Gemeinschaft. All das ist erreichbar. Im nächsten Moment sogar. Wir müssen nur eine Entscheidung treffen. Ist uns erst klar, was wir wirklich suchen, was unsere tiefste Sehnsucht ist, können wir uns entscheiden ein echtes Leben zu leben. Ein Leben in dem Wärme, Kreativität, Freude, Miteinander und Liebe im Mittelpunkt stehen. Alles was wir dafür hinter uns lassen müssen, ist der falsche Ersatz. Und diese Entscheidung trifft jeder für sich allein.
Nennt ihr das Seele, was so zage zirpt
in euch? Was, wie der Klang der Narrenschellen,
um Beifall bettelt und um Würde wirbt,
und endlich arm ein armes Sterben stirbt
im Weihrauchabend gotischer Kapellen, –
nennt ihr das Seele?
Schau ich die blaue Nacht, vom Mai verschneit,
in der die Welten weite Wege reisen,
mir ist: ich trage ein Stück Ewigkeit
in meiner Brust. Das rüttelt und das schreit
und will hinauf und will mit ihnen kreisen …
Und das ist Seele.
Rainer Maria Rilke
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