Kontrollverlust in der Vergangenheit (der erwachsenen oder der Kindheit) kann dazu führen, dass Menschen in ihrer Gegenwart sehr viel Kontrolle benötigen. Dahinter stehen innere jüngere Anteile, die eigentlich Kontrolle über schwierige Erlebnisse in der Vergangenheit möchten, und versuchen das durch Kontrolle der Gegenwart zu realisieren. Der so oder ähnlich dazugehörende Gedanke „Damals hat der Kontrollverlust zu XY geführt. Das war furchtbar. Das darf nie wieder geschehen. Also brauche ich heute ganz viel Kontrolle.“.
Vergangenheit ist nicht real. Sie kann weder gesehen noch er-/begriffen werden. Vergangenheit nährt sich aus unserer Erinnerung, diese ist und war nie statisch. Nur traumatische Erinnerungen spielen sich immer wieder exakt so ab, wie sie von dem Menschen in dem Moment erlebt wurden. Jede andere Erinnerung verändert sich mit jedem Erzählen, mit der Zeit die seitdem vergangen ist oder mit den Veränderungen des jeweiligen Menschen.
Doch auch traumatische Erinnerungen, die erst mal in ihrer Traumarelevanz und im Zusammenhang mit gegenwärtigen Geschehnissen gar nicht gesehen werden, können ins Bewusstsein gebracht und dann verändert werden.
Dazu ist es wichtig zu wissen, dass wir immer heilen wollen. In uns wohnt Heilwissen, das durchgängig versucht Körper und Geist in einen harmonischen Zustand zu versetzen. In uns existiert ein Abbild, das uns in vollkommener Gesundheit zeigt. Und alles in uns möchte uns in genau diesen Zustand versetzen. Gut beobachten können wir dieses Wirken, wenn wir eine Verletzung haben und wir augenblicklich beginnen die Verletzung zu heilen. Das gleiche geschieht bei Erkrankungen wie Erkältung, Brüchen, Entzündungen, etc.
Alles in uns ist auf diesen gesunden Zustand ausgerichtet und wirkt daran mit, ihn zu erreichen.
Ebenso verhält es sich, wenn nach einem Trauma Körper und Psyche auf eine bestimmte Weise reagieren, also zum Beispiel die Erinnerung an den Moment des Traumas stabil abgespeichert wird, da die überflutenden Bilder, Körperempfindungen, Gefühle und Gedanken zu dem Zeitpunkt nicht verarbeitet werden können. Dadurch sorgt der Körper für die augenblickliche Sicherheit und gleichzeitig besteht durch die Speicherung die Möglichkeit das Geschehene zu einem späteren Zeitpunkt zu integrieren.
All das macht viel Sinn und würde wahrscheinlich zu einer hilfreichen Integration führen, wenn das Traumageschehen auf eine unverletzte Psyche und ein weitgehend gesundes Umfeld träfe. Da wir jedoch quasi alle von Trauma betroffen sind und wie Franz Ruppert schreibt „in einer traumatisierten Gesellschaft“ leben, bestehen nur wenige Möglichkeiten das Trauma vollständig in die Psyche zu integrieren und auf körperlicher Ebene loszulassen.
Zurück zur Kontrolle, als einem Indikator für Trauma. Oft wird versucht traumatisierte Menschen davon zu überzeugen, sie müssten ihr Verhalten ändern, zum Beispiel Kontrolle aufgeben. Das kann auch für eine kürzere Zeit gelingen, doch bald wird unser innerer Anteil, der in der Vergangenheit den Kontrollverlust erlebt hat, für erneute Kontrolle sorgen. Kommt es dadurch zu einer schwierigen Situation, bestätigt sich „Ich muss genau schauen, wie es läuft (Kontrolle), sonst geschehen Unglücke.“. Der vorherige Zustand ist wieder hergestellt, hat sich eventuell noch verschärft.
Statt Menschen die Kontrolle über ihr jetziges Sein zu nehmen, ist es sinnvoller, die Vergangenheit zu ändern, indem man traumatische Situationen identifiziert und in der Retrospektive die Kontrolle darüber gewinnt. Dies geht über die Veränderung der ursprünglichen Situation. Angestrebt wird ein Erleben, in dem Handlung gelingt und der Ausgang der Situation verändert wird.
Damit wird an der Ursache, statt an der Auswirkung gearbeitet. Gelingt dies, können innere Anteile die Erfahrung machen, dass sie auch in überwältigenden Situationen handlungsfähig sind und bleiben. Das Kind in uns macht auch die Erfahrung, dass seit dem Erleben der traumatischen Situation Zeit vergangen ist und unser Handlungsspektrum sich erweitert hat. Dem Kind von damals steht nun der erwachsene Mensch von heute zur Seite. Dadurch entsteht Sicherheit, aus der heraus Vertrauen in sich, andere und das Leben wachsen kann.