Ich schrecke hoch. Etwas hat mich geweckt. Ein lautes, ungewohntes Geräusch. Es ist stockdunkel, mein Herz pocht. Mein gesamtes System ist aktiviert und bereit sich zu wehren. Durch meinen Kopf zucken unkontrollierte Gedanken. „Was war das? Da ist etwas. Da schleicht jemand ums Haus!“ Die Angst hat schon beim Erwachen ihre Krallen ausgefahren und hält mich nun fest im Griff. Ich bin überzeugt, dass jemand mir Böses will. Ums Haus schleicht. Nur darauf wartet, dass ich atme, um mir etwas anzutun. Ich bin starr, kann mich nicht mehr bewegen. Mein Atem geht flach und stoßweise. Da ist das Geräusch wieder. Ich schrecke wieder hoch und gleichzeitig atme ich tief ein. Eine Pomelo. Der Baum hat eine Pomelo aufs Dach fallen lassen. Erleichterung läuft durch meinen Körper und ich entspanne mich. Dann setzt mein Denken wieder ein. Wieso diese Angst? Völlig unbegründet? Auf jeden Fall diffus. Das kenne ich von früher. In Deutschland hat diese Angst mich daran gehindert nachts alleine in den Wald zu gehen. Eine tiefe Angst. Existenzangst. Und das Wissen, dass jemand nicht möchte, dass ich lebe.
Ich beschließe mich der Angst zu stellen. Sie ist noch da. Ganz dicht unter der Oberfläche meines Bewusstseins. Ich lege mich zurück, schließe meine Augen und lasse zu, dass sie wieder aufsteigt. Mein Herz beginnt wieder laut und schnell zu pochen. Ich habe das Gefühl, die Angst umhüllt mich, wie ein Kokon, in dessen Mitte ich liege und ihr ausgeliefert bin. Und dahinter der Wunsch eines Wesens, das mich nicht will. Ich soll nicht sein. Ich fühle mich winzig klein und da draußen ist etwas, das mich nicht will. Dann taucht ein Bild auf. Das Bild eines Kindes im Mutterleib. Und dann klärt es sich. Meine Mutter war mit mir schwanger von einem verheirateten Mann. Ein Teil von ihr wollte nicht, dass ich bin. Ein Teil von mir ist genau an diesem Trauma stehen geblieben. In dieser Wolke von Nicht-gewollt-sein, die meine Angst ausgelöst hat.
Ich tauche schon immer tief. So tief bin ich noch nie getaucht.
Der Nacht ging voraus, dass ein Mensch, den ich traf, mit aller Macht versuchte mich zu kontrollieren. Im Wachbewusstsein, hatte ich eine sehr klare Vorstellung davon, wer er ist und wer ich bin. Mein tiefes Sein nahm diese Energie, verband sie mit der frühen, tiefen Angst und die Pomelo brachte alles ins Bewusstsein.
Ich weiß, dass diese diffuse Angst nicht mehr auftauchen wird. Von nun an gibt es eine Zuordnung. Diffus war sie nur, solange sie als Schleier durch meine Seele zog und sich vom nicht-wirklich-wahr-sein nährte.
Dass meine Mutter mich nicht wirklich wirklich wollte, weiß ich schon lange. Nun hatte auch dieses kleine Wesen seinen Moment, wurde gesehen und gehört. Es hat viele Jahre diesen Schmerz für mich gehalten und durfte sich nun entspannen. Ich sehe seinen Schmerz, der meiner ist. Ich sehe seine Not, die meine ist. Ich sehe seine Verzweiflung, die auch meine ist. Und nun eigentlich nicht mehr. Denn all die an diesem dunklen Ort gefrorene Energie hat sich gelöst. Fließt nun frei. Das kleine Wesen schläft mit einem bezaubernden Lächeln auf seinen Lippen und ruht sich aus. So lange hat es gewacht. Wenn ich daran denke spüre ich wie meine Adern sich weiten. Wie mein Brustkorb weit wird. Es wird hell und warm.
Die Hütte im Busch, der Mensch … ich danke dem Leben, dass es mich an diesen Ort geführt hat und diese alte, tiefe Angst erlöst wurde.
Trauma und transgenerationale Übertragung
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